1954 – 1957 III – Nationale Front

Durch den Parteiausschluss aus der SED, mit dem Ziel der Wiederaufnahme in die Partei, arbeitete Josef Köhler zeitweilig hauptamtlich, aber die meiste Zeit ehrenamtlich, für die Nationale Front der DDR.
Zitat Wikipedia:

Die Nationale Front der Deutschen Demokratischen Republik (bis 1973 Nationale Front des demokratischen Deutschland) war ein Zusammenschluss der Parteien und Massenorganisationen in der DDR. Durch die Nationale Front sollten dem Anspruch nach alle gesellschaftlichen Gruppen Einfluss auf gesellschaftspolitische Prozesse nehmen können. Faktisch war die Nationale Front jedoch auch ein Mittel, um die Blockparteien und Massenorganisationen zu disziplinieren und die Vormachtstellung der SED im Staat zu festigen.

Über diese Arbeit schreibt er in einem Schreiben an die Zentrale Parteikontrollkommission (ZPKK) der SED, vom 12.07.1963, folgenden Text.

Nachdem ich in den ersten Januartagen [1954] mit dem Gen. Fritz Beyer eine einzige kurze Aussprache hatte, wurde ich nach Beendigung meiner Aushilfslehrertätigkeit im Auftrage der SED Stadtleitung durch den Gen. Billhardt dem damaligen Leiter des Pavillons der Nationalen Front übergeben, um –wie man mir sagte- eine Möglichkeit zu finden, mich auf dem kulturellen Sektor einzubauen. So habe ich etwa seit April 1954 bis Juli 1954 ganztägig im Pavillon der Nationalen Front unentgeltlich bis zum Schluß der Abendveranstaltungen gearbeitet. Als der Leiter des Pavillon in seinen Urlaub für zwei Monate fuhr, wurde ich durch das Sekretariat des Bezirksausschusses der Nationalen Front als Stellvertreter des Leiters mit einem Monatsgehalt von 250- DM eingesetzt und habe dort bis Ende August als solcher gearbeitet. In dieser Zeit habe ich durch eine zwangsläufige Inventur in der zum Pavillon gehörenden Buchhandlung und in der freien Kasse größere Unstimmigkeiten feststellen müssen, über die ein entsprechendes Protokoll in drei Ausfertigungen dem Bezirksausschuss zugefertigt worden ist.
Nach meinem Arbeitsantritt (1.9.1954) an der Karl Marx Universität, der mir durch entsprechende Stellen in Zusammenwirken mit der Bezirks- und Stadtleitung der SED ermöglicht wurde, wählte man mich in die ehrenamtliche Leitung des Pavillons der NF am Markt, wo ich ebenfalls täglich meiner gesellschaftlichen Arbeit nachkam. Auf Grund meiner Tätigkeit im Pavillon der NF wurde ich Anfang 1955 (bzw. Ende 1954) in den Bezirksausschuß der Nationalen Front kooptiert und im Laufe der folgenden Jahre bis 1959 immer wiedergewählt. Hier arbeitete ich zunächst in der Anleitung der Agitationslokale in allen Stadtbezirken, wurde später mit der Leitung der Arbeitsgruppe „Rückkehrer und Zuwanderer“ betraut und als Ständiger Vertreter des Bezirksausschusses bei der Kommission für Rückkehrer und Zuwanderer beim Rat des Bezirkes, Innere Angelegenheiten, benannt. Auch hier habe ich eine aktive Mitarbeit geleistet, wie von Seiten des Gen. Luft bzw. der Gen. Blasi bestätigt werden muß.

1954 – 1955 II

Die in den vorausgegangenen Artikeln geschilderten Probleme, bezüglich Arbeit und Studium, sind wahrscheinlich zum Teil dem Ausschluss aus der SED im Juli 1951, wegen des  Verdachtes auf Republikflucht, geschuldet.
Ob nun aus Überzeugung oder aus anderen Gründen bemühte sich Josef Köhler sofort nach der Heimkehr aus der Haft um die Wiederaufnahme in die SED.
Dazu schreibt er im November 1962 an die zentrale Parteikontrollkommission der SED:

Anfang April 1953 [sic!] wurde mir durch eine Dienststelle der UdSSR offiziell eröffnet, dass ich mich auf Anweisung der sowjetischen Organe als freier Bürger betrachten darf, wobei mir aus der Inhaftierung bei meiner Rückkehr nach Deutschland keinerlei Nachteile erwachsen werden, da ich keine Vergehen bzw. Verbrechen begangen habe, durch die die UdSSR, die DDR bzw. andere sozialistische Staaten, ihre Bürger und Vermögen geschädigt bzw. beeinträchtigt worden sind. Die gleiche Erklärung wurde mir bei meiner Ankunft in Berlin im Rahmen von Besprechungen am 28.12. und 29.12.1953 gegeben. Wobei ich auch den Hinweis erhielt, mich unverzüglich nach meiner Rückkehr bei der Stadtleitung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands in Leipzig, und zwar über den mir bekannten Genossen Billhardt beim Genossen Fritz Baier zu melden. Ich möchte hier betonen, dass ich diesem Hinweis genau gefolgt bin…

Er führt in diesem Schreiben alle Aktivitäten aus den Jahren 1954 und 1955 auf  und lässt auch hier durchblicken, dass er sich dessen bewusst ist, dass der Parteiausschluss ein wichtiger Grund für seine Probleme mit der Wiederimmatrikulation und seiner Arbeit an der KMU ist.
Schon mal als Vorausblick, es gelang Josef Köhler nicht, wieder in die SED aufgenommen zu werden.

1954 – 1955

Familie
Im Spätherbst 1954 stellte sich heraus, dass Renate schwanger war. Es musste also etwas geschehen, eine sofortige Heirat kam ja aus konfessionellen Gründen nicht in Frage. Renate besuchte also den katholischen Religionsunterricht und konvertierte zum Katholizismus.
Im Januar 1955 konnte also endlich geheiratet werden und im Juni 1955 erblickte mein Bruder das Licht der Welt.
Studium und Arbeit
Die Zulassung für das Studium ließ auf sich warten, der Ablehnungsbescheid beendete alle Illusionen über eine akademische Laufbahn.
Unverhofft bekam Josef Köhler im September 1954 eine Anstellung als Dolmetscher und Übersetzer in der Juristenfakultät der Karl-Marx-Universität Leipzig, für den sowjetischen Gastprofessor V.A. Tarchow. Sein vorheriger Arbeitgeber, die Nationale Front, bescheinigte ihm in der Beurteilung vom 30.08.1954, sehr gute Arbeit.
Nach dem Ausscheiden von Prof. Tarchow im Dezember 1954 arbeitete Josef Köhler als Übersetzer am Institut für Zivilrecht der KMU Leipzig bis April 1955.
Auch hier wurde ihm in der offiziellen Beurteilung vom 26.07.1955, von Prof. Such ausgezeichnete Arbeit bestätigt.

Kollege Köhler verfügt über ausgezeichnete Kenntnisse in der russischen Sprache. Er hat eine sehr gute Auffassungsgabe und hat es verstanden, sich in die für ihn neue Materie des Zivilrechts schnell einzuarbeiten. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass er keine juristische Ausbildung hat, ist es ihm ausgezeichnet gelungen, sowohl die wissenschaftlichen Texte wie auch die Diskussionen in den Seminaren fachgerecht zu übersetzen. Besonders hervorzuheben ist, dass er zu den wenigen Dolmetschern gehört, die auch deutsche wissenschaftliche Texte in die russische Sprache übersetzen können. Diese Dolmetscher-Tätigkeit ist erheblich schwieriger als Übersetzungen aus der russischen Sprache.

Weiterhin wird ihm Arbeitsbereitschaft, ein hohes Arbeitstempo und Uneigennützigkeit bescheinigt, mit der Einschränkung:

… während er es andererseits nicht unterlassen kann, seine besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten gelegentlich selbst zu betonen, und auch die ausdrückliche Anerkennung seiner Arbeit herausfordert.

Abschließend heißt es:

Kollege Köhler ist als Betreuer für einen sowjetischen Gastprofessor gut geeignet, da er stets um den Gast besorgt, umsichtig und wendig ist. Da andererseits seine politische Erfahrung noch nicht voll entwickelt ist, ist eine Anleitung und Kontrolle in dieser Hinsicht erforderlich. Falls eine solche Anleitung und Kontrolle gesichert ist, kann ihm eine Betreuung übertragen werden.

So positiv diese Beurteilung auch ist, so steht doch ein KMU-internes Schreiben vom 11.2.1955 einer erneuten Beschäftigung im Wege.
Dort heißt es:

In einer Rücksprache mit Herrn Prof. Dr. Such teilte mir dieser seine Einschätzung des Koll. Köhler etwa wie folgt mit:
K. ist ein ausgezeichneter Übersetzer, sowohl qualitätsmässig wie auch in der Schnelligkeit, mit der er die Übersetzungen anfertigt. Er ist arbeitsfreudig und einsatzbereit.
Politisch hat er aber noch nicht die Festigkeit, die zu so einer verantwortungsvollen Funktion (Betreuung eines sowj. Professors) gehört. Er neigt zu einer individualistischen Anschauung. Auch fällt es ihm schwer, Kontakt zu anderen Menschen zu finden, was gerade in dem vorliegenden Falle unerlässlich ist, um eine gute Zusammenarbeit zwischen den deutschen Wissenschaftlern und Ärzten und dem sowjetischen Wissenschaftler herzustellen.
Nach Meinung von Herrn Prof. Such kann man den Koll. Köhler immer nur an einer 2. Stelle einsetzen.
Wenn eine entsprechende Kraft dringend gebraucht wird, so erklärte sich Prof. Such bereit, der Kaderabteilung dabei behilflich zu sein, da ihm eine für diese Stellung geeignete Kollegin Dolmetscherin bekannt sei.
11.2.55 Koll. Walde wurde von mir bereits in diesem Sinne verständigt.

Josef Köhler bekam also keine weitere Anstellung an der KMU, er machte sich als freiberuflicher Übersetzer und Dolmetscher selbständig.