Rudolf Schneider – nachträglich herzlichen Glückwunsch

An dieser Stelle möchte ich Rudolf Schneider, einem Jugendfreund von Josef A. Köhler und wichtigem Zeitzeugen und Unterstützer meines Projektes, nachträglich zu zwei wichtigen Ereignissen gratulieren.
Also lieber Rudolf, herzlichen Glückwunsch zum 83 Geburtstag. Für Dich und Deine Lieben alles Gute. Glück und Gesundheit wünsche ich Euch von ganzem Herzen.
Zum Zweiten natürlich auch die Glückwünsche zum Erscheinen Deines, hier bereits des Öfteren zitierten, Buches. Dieses ist nun auch im Buchhandel erhältlich.

Chronographie von Fleyh

Die Chronographie eines Ortes, der wahrscheinlich mindestens 600 Jahre bestand, bevor seine Einwohner 1945 und 1946 vertrieben, deren Häuser zerstört und das Tal im Jahre 1961 durch das Wasser einer Talsperre überflutet wurde.
Books on Demand
ISBN 978-3-8482-0470-0, Paperback, 224 Seiten

Fleyh – Stimmen aus der Vergangenheit

Im Nachlass meines Vaters befinden sich auch Briefe aus den Jahren 1946 – 1950. Einen dieser Briefe möchte ich an dieser Stelle veröffentlichen, da er zu dem Thema Fleyh – Heimat meines Vaters passt. Der Brief ist in Sütterlin geschrieben. Die Handschrift kann ich nicht lesen, deshalb haben sich Herr Rudolf Schneider und Frau Dr. Franziska Rauscher freundlicherweise dazu bereit erklärt, mir diesen zu „übersetzen“. Die folgende Transkription des Briefes enthält Erläuterungen zu den Personen und Orten, die durch Herrn Schneider hinzugefügt wurden.

Die Familie Josef Karasek bestand aus den Eltern, vier Mädchen und einen Jungen, der in dem Brief aber nicht erwähnt wird. Der Ernst ist erst 1936 geboren und war 1946 noch Schüler. Die Schreiberin, Maria Karasek ist offensichtlich die Schwester von Josef Karasek und hat mit ihrem Vater mit im Hause Nr. 56 gewohnt. Wenn ich mich recht erinnere, hatte sie einen Buckel und war nicht verheiratet. Sie war aber Näherin und die Nähmaschine war ihr ein und alles. [Rudolf Schneider]

Text des Briefes:

Liebe Familie Köhler !

17.11.1946

Endlich nach 4 Monaten erhielt ich durch Schmiedalbin [1] Ihre werte Adresse. Auch uns ist nun dasselbe Los beschieden, denn wir sind am 5. September von Fleyh fort gekommen. Wir erhielten  abends um ½ 10 Uhr Befehl, früh um 8 Uhr am Dorfplatz zu sein. Nun war aber Vater, ich und Ottel [2] nicht dabei, wie ging das. Wir mußten zur Narodni Wipor [3] wegen der Ottl und wegen uns [4], mußten früh zeitig nach Moldau [5]. Ich hatte ein Gesuch wegen der Nähmaschine gemacht, es wurde auch zugesagt. Wie wir früh hinkamen, gab es Tschich und Golascheck [6] nicht zu und trotz bitten und betteln mußte ich sie aus der Kiste herausgeben, in Dux hätte ich sie erhalten, die waren sehr fein bei der Durchsuchung [7]. Na, komplett haben sie die Tschechen nicht, ich habe die Spulchen und die Bestandteile zum Endeln und Knopflöcher nähen sowie Riemen Nadeln alles hier. Wenn ich drum komm [8], haben sie auch nichts. Doch nun steh ich in der Fremde ohne Erwerb. Erst waren wir 14 Tage hier in Wittenburg im Lager, kamen dann am 23. in das Quartier, haben ein großes und ein kleines Zimmer und eine kleine Küche richteten wir uns aus einem Bad. [9]. Seiche Richart [10] setzte uns einen Ofen. Die Wohnung war ganz leer. Die Kisten sind Tisch und Stuhl. Ich war anfangs einige Halbtage Kartoffel glauben [11] erhielt jedesmal für einen Halbtag 30 Kilo. Dann stoppelte ich noch paar dazu, damit ich für Vater und mich zum Zusetzen hab. Jetzt gehe ich Halbtagsweise hausnähen und auf der Hausfrau ihrer Maschine kann ich auch nähen. Doch das Heimweh werde ich nicht los. Mit uns kamen Michlfranzenton [12], Briggensef [13], Seiche Richard, Titelbauerfranz [14], Schlegel [15] und Lorenzenalbin [16] mit fort und sind auch alle hier [17]. Gott sei Dank. Wir haben eine katholische Kirche hier, 2 Geistliche. Also jeden Tag 2 hl Messen um ½ 7 Uhr und um 7 Uhr. Ich habe es auch näher wie zu Hause. Gehe jeden morgen um ¼ 7 Uhr. Geh sage ich. So feierlich ist es wie an einem Wallfahrtsort. Und die schönen Predigen. Es sind meistens alles Flüchtlinge von Reichenberg, Böhm. Leipa, Brüx, Komotau, auch einige Moldauer sind hier.
Nun meine Lieben! Habt Ihr von Pepi wieder mal Post bekommen. Kohl Ernst von Motzdorf ließ auch schon lange nichts hören und jetzt ist er in Russland gefangen. Und so hörte ich schon, daß mancher schon für tot erklärt wurde und jetzt wieder geschrieben hat. Ich würde Ihnen wünschen, wenn Pepi plötzlich käm.
Mein Bruder erhielt am 10 November von Doktor Hellmich aus Fleyh einen Brief. Er hat ihn am 31. Oktober geschrieben und teilte uns mit, daß die paar Deutschen noch drin sind und Seifert Karl [18] vielleicht in unser Haus müßte, weil er die Säge versteht [19]. Wißt Ihr, daß er bei der Hanselmarie [20] ist und Schmiedsef [21] bei der Liebscher Hilde [22]? Wie wird es den paar Deutschen gehen? Suhrsef [23] ist bei Rudolf [24] wo Drexler war [25]. In den Stall und Scheuer kam das ganze Vieh von den Leuten, die fort waren und jetzt stehn blos noch drei Kühe dort, so schrieb uns Doktor Hellmich. Auch liegt schon …… bei uns [26]. Drei Dinge sind es die ich sehr vermisse und zwar: das Grab meiner Mutter, die Nähmaschine und die gute Milch. Hier sieht  man, obzwar hier sehr viel Landwirtschaft ist, keinen Tropfen. Bruder geht als Mühlenbauer, Annl ist bei einem Lehrer in Stellung, Ottl in der Zuckerfabrik, die Schwägerin und Martha gehen zu den Bauern, Maritsch und ich, kochen Kartoffel und Kraut und Kraut und Kartoffel [27]
Nun will ich schließen, nehmt es mir nicht übel, wenn ich Euch belästige, es drängt mich fast [28] und wenn ich schreibe, ist es, als ob ich mit Euch reden könnte, wir haben viel verloren, denn wir haben unsere Heimat verloren, doch wenn wir nur den Glauben nicht verlieren, werden wir auch unser Schicksal geduldig ertragen. Vielleicht sehen wir uns auch einmal wieder. Also nochmals herzliche Grüße
Eure Maria Karasek und Angehörige

Legende:
1 Albin Schindler, Haus Nr. 16, war von Beruf Schmied
2 eine der Töchter von Josef Karasek
3 Narodni Vipor heißt so viel wie Nationalausschuß, Stadtverwaltung, Gemeindeverwaltung
4 sie meint sicher sich und ihren Vater
5 auf der Ausweisungsliste stand scheinbar nur Josef Karasek mit Frau und Kindern, die Tante mit ihrem Vater war offensichtlich nicht dabei. Und die Ottl war meines Wissens Hausangestellte in Moldau
6 das müssen die Namen von zwei Tschechen sein, die der Schreiberin bekannt waren
7 das paßt nicht ganz zu der Aussage von Anna Karasek. Siehe „Chronographie der Ortschaft Fleyh“ Teil 2 Seite19
8 soll wohl heißen: „wenn man mir das nimmt“
9 Diese Schilderung der Wohnverhältnisse deckt sich teilweise mit der Aussage von Anna Karasek. Siehe „Chronographie der Ortschaft Fleyh“ Teil 2 Seite 19. Anna Karasek ist Jahrgang 1925 und die Schreiberin ist ihre Tante
10 Seiche Richard stammt aus dem Nachbarort Motzdorf, aus dem Hause Nr. 57
11 Kartoffel lesen
12 Anton Köhler aus Fleyh, Haus Nr. 58 (nicht der Vater von Josef Köhler)

13 Josef Schwabe aus Fleyh, Haus Nr. 18, Spitzname = Brückenseff
14 Franz Weinelt aus dem Nachbarort Motzdorf, Haus Nr. 16
15 Anton Schlegel aus dem Nachbarort Motzdorf, Haus Nr. 11
16 Albin Preißler aus dem Nachbarort Motzdorf, Haus Nr. 34
17 Karasek war das letzte Haus in Fleyh, Richtung Motzdorf. Wer von den Motzdorfer Bürgern am 5. September 1946 mit ausgewiesen wurde, war mir bisher nicht bekannt
18 Vogelsteller-Korl, der Bruder Ihrer Mutter
19 was damit gemeint ist, verstehe ich nicht [vielleicht Umgang mit einer Motorsäge / Sägemaschine T.K.]
20 Haus Nr. 76
21 Josef Schindler, Haus Nr. 55
22 Haus Nr. 1
23 Josef Pohl, Haus Nr. 73
24 Josef Höbelt, Haus Nr. 19
25 Nachbar von Josef Höbelt
26 wahrscheinlich heißt das fehlende Wort „Schnee“
27 die angeführten Namen sind die Namen der 4 Töchter, die Josef Karasek hatte. 1936 kam noch ein Junge dazu, der Ernst. Sie waren also eine siebenköpfige Familie
28 sie meint sicher : „es drängt mich halt“

Fleyh – Heimat meines Vaters 2

Die Familie meines Vaters

Mein Vater wurde als Sohn von Anton und Philomena Köhler geboren. Anton (geb. 23.Januar 1885) war der Sohn von Josef Köhler und Emilia geb. Zeidler, deren Vater Josef Zeidler hieß. Philomena (geb. 8.Juli 1888) war die Tochter des Josef Seifert (geb. 6.März.1857) und der Veronika geb. Preißler (geb. 5.Februar.53), diese war die Tochter des Ferdinand Preißler. Die Familie Seifert führte den Beinamen „Vogelsteller“. Der Geschichte zufolge, die mir, als ich noch ein Kind war, meine Großmutter Philomena erzählte, war in grauer Vorzeit ein Vogelsteller aus dem Italienischen übers Gebirge gekommen und hatte sich in Fleyh niedergelassen. Nachdem er in die Familie eingeheiratet hatte, führten die Seiferts diesen Beinamen.
Anton und Philomena heirateten am 9. November 1913 in Fleyh. Um die Eheschließung meiner Großeltern gibt es eine Geschichte, die, so erzählte es mein Vater, dazu führte, dass Anton sich von seiner Familie los sagte. Leider ist mir diese Geschichte nicht näher bekannt.

Anton hatte in der Tischlerei Rudolf Reichenberger am 5.10.1899 seine Lehre als Tischlergehilfe beendet und bekam seinen Gesellenbrief als Tischler am 30. August 1920. Ein Meisterbrief liegt mir nicht vor, aber in amtlichen Dokumenten wird Anton als Tischlermeister bezeichnet. Philomena lernte schneidern, ob sie einen Lehrabschluß hatte ist mir nicht bekannt.

Am 1. Dezember 1913 kaufte das frisch vermählte Paar das Haus Nr. 85 in Fleyh, in dem sie auch bis zur Aussiedelung wohnten. 1922 kauften meine Großeltern einige Parzellen Wiesen, Ackerland und Wald. Ein Jahr später kam noch das Wohnhaus 40 in Fleyh mit Ackerland und Wiese dazu.

Aus den Erzählungen meiner Großeltern und meines Vaters läßt sich schließen, daß die beiden nicht wohlhabend waren, von der Tischlerei und Schneiderei ließ es sich allein nicht leben. Sie betrieben also zusätzlich Landwirtschaft, es soll ein paar Kühe, Schweine und Hühner und natürlich Kaninchen gegeben haben. Das weiß ich genau, da mein Vater es ablehnte Kaninchen zu essen, mit der Begründung, er habe als Kind mit diesen gespielt und schon damals Kaninchenbraten verweigert, was ihm stets Ärger mit seinem Vater einbrachte.
Anton besaß auch ein eigenes Pferdefuhrwerk, mit dem er die angefertigten Möbel ausfuhr. Es wurde aber auch für die Landwirtschaft genutzt.

Meine Großmutter erzählte mir auch stets von der schweren Arbeit der Butterweiber, die sie als junge Frau ausgeübt hatte.
Dazu eine Beschreibung von Rudolf Schneider aus „Chronographie der Ortschaft Fleyh“.

Die über den Eigenbedarf hinausgehenden Mengen von Quark und Butter wurden von einigen Frauen im Ort eingesammelt. Am Mittwoch und Donnerstag trugen sie die Ware in die Stadt und verkauften sie dort. Die eine Gruppe ging am Mittwoch nach Oberleutensdorf, die andere Gruppe ging am Donnerstag nach Osseg und Dux. Früh um drei Uhr brachen sie auf, damit sie zeitig am Ziel waren, denn später wäre die Butter weich geworden. Im Sommer gingen sie noch früher. Es schlossen sich immer Gruppen von 10 bis 12 Frauen zusammen.
Die, welche nach Oberleutensdorf gingen, sammelten sich auf dem Rückweg in Schönbach beim Braune. Dort wurde etwas gegessen und getrunken und dann ging es wieder übern Berg nach Hause. Das war immer ein Weg von ca. 3 Stunden.