1946 – 1948 Mischket Liebermann I

Die Schauspielerin Mischket Liebermann kontaktierte, Anfang der 70er Jahre meinen Vater, als sie für Ihre Lebenserinnerungen recherchierte. In Ihrem Buch „Aus dem Ghetto in die Welt“ schreibt sie aus ihrer Zeit als Politinstrukteur in den Kriegsgefangenenlagern Wladimir und Susdal (Zeitraum nicht genau benannt, aber wahrscheinlich Herbst 1946) folgendes:
[Mischket Liebermann; Aus dem Ghetto in die Welt; Verlag der Nation 1977; 3. Auflage 1995; ISBN 3-373-00495-0; S 267 ff]

Erst spät kommt Alexandra Belikowa heim. Ich habe schon etwas ausgeruht. Ihre Gedanken sind noch immer im Lazarett.
„Was ist mit dem Kriegsgefangenen, den ich vor einer Woche zu Ihnen schickte?“ fragt sie mich. „Bei mir hat sich keiner gemeldet.“
„Nanu! Er hat Malaria und kann nicht draußen arbeiten. Im Lazarett schreibt er ununterbrochen Gedichte, Theaterstücke. Und Majakowski hat er rezitiert. Auf russisch. Ich dachte, so einen könnten Sie im Aktiv gut gebrauchen.“
„Das schon. Aber ich kann ihn nicht freistellen. Vielleicht bringen wir ihn in der Innenkompanie unter?“
„Einverstanden. Eine leichte Arbeit kann er verrichten. Er heißt Josef … Ich behalte die deutschen Namen nicht.“

[S. 268]

Montag früh gehen Dr. Belikowa und ich zusammen ins Lager. Wir suchen den Josef. „Josefs gibt´s bei uns in rauhen Mengen“, sagt Kommandant T. „Skoro budet, Frau Doktor.“ Frau Doktor geht beruhigt ins Lazarett, der Kommandant durch die Baustellen! Und bringt mir den Josef bald an.

1942 bis 1946

Krieg und Gefangenschaft

Vom 23.3.42 bis 1.7.42 wurde ich beim 465. I.E.B. [Infanterie Ersatz Batallion] in Neustadt an der Mettau ausgebildet. Vom 1.7.42 bis zum 15.9.42 war ich auf einen Unterführerlehrgang nach Josefstadt (C.S.R.) abkommandiert. Bereits am 1.10.42 wurde ich nach einem kurzen Einsatzurlaub an die Front abtransportiert, wo ich am 20.11.42 im Raum von Stalingrad dem 523. I.R. [Infanterie Regiment], 384. I.D. [Infanterie Division] zugeteilt wurde. Nach dem Rückzug der VI. Armee nach Stalingrad kam ich in der Nacht des 29.12.42 zum  ersten Fronteinsatz. In dieser Nacht begab ich mich in sowj. Kriegsgefangenschaft. Bis April 1943 nahm ich am Vormarsch der Roten Armee auf Rostov teil und kam nach zweifacher Verwundung in das Kriegslazarett Stalingrad und anschließend in das Kriegsgefangenenlager 108, danach 160 und 190. Am 23.9.1948 wurde ich aus sowj. Kriegsgefangenschaft entlassen.

So kurz und knapp klingt das im Lebenslauf von 1950. Problematisch wird es erst, wenn man ein wenig tiefer geht. Da ist zum Ersten das Arbeitsbuch Nr. 1331 / 013636 vom 3.2.1954, Rat des Stadtbezirkes XI der Stadt Leipzig, in dem von 1944 bis 1946 ein Studium an der Universität Ulan Bator M.V.R. (Mongolische Volksrepublik) eingetragen ist. Passend dazu sind auch sämtliche  Karten aus der Kriegsgefangenschaft vorhanden, der Schriftverkehrs beginnt allerdings  erst im 2. Halbjahr 1946.
Im Lebenslauf aus den 70ern heißt es:

Ende 1942 begab ich mich anlässlich eines Stoßtruppunternehmens in sowjetische Gefangenschaft. Ich blieb bei der kämpfenden Truppe und kam nach der Schlacht von Kursk/Belgorod in das Kriegsgefangenenlager (August 1943) in Wladimir /701/ , in dessen Haupt- und Nebenlagern ich verschiedene leitende Funktionen bekleidete. Hier lernte ich auch Russisch.

Auf einer Postkarte im Herbst 1946 aus dem Lager 7190/III an seine Eltern schreibt er:

Mir geht es gut, bin gesund und wohlauf. 70 kg. 173 cm. Also keine Ursache zu irgendwelchen Beunruhigungen. Im Augenblick mache ich Übersetzungen aus dem englischen ins russische. Das ist eine schöne Arbeit, aber viel.

Die Englischkenntnisse lassen sich aus dem Berlitz–Lehrgang von 1941/42 erklären, die russischen Sprachkenntnisse muss er sich von 1943 bis 1946 angeeignet haben. Allerdings lässt sich vermuten dass ein zumindest ein Lehrgang nötig ist um die erforderlichen  Sprachkenntnisse zu erwerben.  Darüber findet sich  nichts in seinen Hinterlassenschaften.
Es gibt also auch hier Ungereimtheiten. Sehen wir mal wie es weiter geht.