1954 – 1955

Familie
Im Spätherbst 1954 stellte sich heraus, dass Renate schwanger war. Es musste also etwas geschehen, eine sofortige Heirat kam ja aus konfessionellen Gründen nicht in Frage. Renate besuchte also den katholischen Religionsunterricht und konvertierte zum Katholizismus.
Im Januar 1955 konnte also endlich geheiratet werden und im Juni 1955 erblickte mein Bruder das Licht der Welt.
Studium und Arbeit
Die Zulassung für das Studium ließ auf sich warten, der Ablehnungsbescheid beendete alle Illusionen über eine akademische Laufbahn.
Unverhofft bekam Josef Köhler im September 1954 eine Anstellung als Dolmetscher und Übersetzer in der Juristenfakultät der Karl-Marx-Universität Leipzig, für den sowjetischen Gastprofessor V.A. Tarchow. Sein vorheriger Arbeitgeber, die Nationale Front, bescheinigte ihm in der Beurteilung vom 30.08.1954, sehr gute Arbeit.
Nach dem Ausscheiden von Prof. Tarchow im Dezember 1954 arbeitete Josef Köhler als Übersetzer am Institut für Zivilrecht der KMU Leipzig bis April 1955.
Auch hier wurde ihm in der offiziellen Beurteilung vom 26.07.1955, von Prof. Such ausgezeichnete Arbeit bestätigt.

Kollege Köhler verfügt über ausgezeichnete Kenntnisse in der russischen Sprache. Er hat eine sehr gute Auffassungsgabe und hat es verstanden, sich in die für ihn neue Materie des Zivilrechts schnell einzuarbeiten. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass er keine juristische Ausbildung hat, ist es ihm ausgezeichnet gelungen, sowohl die wissenschaftlichen Texte wie auch die Diskussionen in den Seminaren fachgerecht zu übersetzen. Besonders hervorzuheben ist, dass er zu den wenigen Dolmetschern gehört, die auch deutsche wissenschaftliche Texte in die russische Sprache übersetzen können. Diese Dolmetscher-Tätigkeit ist erheblich schwieriger als Übersetzungen aus der russischen Sprache.

Weiterhin wird ihm Arbeitsbereitschaft, ein hohes Arbeitstempo und Uneigennützigkeit bescheinigt, mit der Einschränkung:

… während er es andererseits nicht unterlassen kann, seine besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten gelegentlich selbst zu betonen, und auch die ausdrückliche Anerkennung seiner Arbeit herausfordert.

Abschließend heißt es:

Kollege Köhler ist als Betreuer für einen sowjetischen Gastprofessor gut geeignet, da er stets um den Gast besorgt, umsichtig und wendig ist. Da andererseits seine politische Erfahrung noch nicht voll entwickelt ist, ist eine Anleitung und Kontrolle in dieser Hinsicht erforderlich. Falls eine solche Anleitung und Kontrolle gesichert ist, kann ihm eine Betreuung übertragen werden.

So positiv diese Beurteilung auch ist, so steht doch ein KMU-internes Schreiben vom 11.2.1955 einer erneuten Beschäftigung im Wege.
Dort heißt es:

In einer Rücksprache mit Herrn Prof. Dr. Such teilte mir dieser seine Einschätzung des Koll. Köhler etwa wie folgt mit:
K. ist ein ausgezeichneter Übersetzer, sowohl qualitätsmässig wie auch in der Schnelligkeit, mit der er die Übersetzungen anfertigt. Er ist arbeitsfreudig und einsatzbereit.
Politisch hat er aber noch nicht die Festigkeit, die zu so einer verantwortungsvollen Funktion (Betreuung eines sowj. Professors) gehört. Er neigt zu einer individualistischen Anschauung. Auch fällt es ihm schwer, Kontakt zu anderen Menschen zu finden, was gerade in dem vorliegenden Falle unerlässlich ist, um eine gute Zusammenarbeit zwischen den deutschen Wissenschaftlern und Ärzten und dem sowjetischen Wissenschaftler herzustellen.
Nach Meinung von Herrn Prof. Such kann man den Koll. Köhler immer nur an einer 2. Stelle einsetzen.
Wenn eine entsprechende Kraft dringend gebraucht wird, so erklärte sich Prof. Such bereit, der Kaderabteilung dabei behilflich zu sein, da ihm eine für diese Stellung geeignete Kollegin Dolmetscherin bekannt sei.
11.2.55 Koll. Walde wurde von mir bereits in diesem Sinne verständigt.

Josef Köhler bekam also keine weitere Anstellung an der KMU, er machte sich als freiberuflicher Übersetzer und Dolmetscher selbständig.

Versuch einer Biographie

Josef Anton Köhler

1923-1994

Mein Name ist Josef Anton Köhler, ich wurde am 18. März 1923 in Fleyh, in der heutigen CSR, als Sohn des Tischlermeisters Anton Köhler und der Schneiderin Philomena Köhler geboren.

So könnte eine Autobiographie meines Vaters beginnen, wenn er sie geschrieben hätte. Ich bin natürlich nicht Josef Anton, sondern sein jüngster Sohn. Nun habe ich mich entschlossen, die Biographie meines Vaters zu schreiben und hier die einzelnen Schritte zu publizieren.

Warum eigentlich? Ist es nur, weil ich meinen Vater geliebt habe und hier würdigen will? Ist es um ihm ein Denkmal zu setzen? Habe ich nur Langeweile? Die Antwort ist etwas komplizierter.

Im Laufe meines Lebens, habe ich viele Geschichten von meinem Vater und über ihn gehört und nach dem Tode meiner Mutter sind so ziemlich alle Unterlagen über ihn in meinen Besitz gekommen. Da lagen sie nun, wurden mal angeschaut und mal vergessen. Die Arbeit, die Kinder und viele andere Dinge waren ja wichtiger und ich merkte nicht einmal, dass rund um mich immer mehr Zeitzeugen starben.

Jetzt, da ich viel Zeit habe, nahm ich die Unterlagen in die Hand und las in manchen Dokumenten über Dinge, die nie angesprochen wurden, über ganze Zeitabschnitte und Ereignisse, die ich aus den Erzählungen anders in Erinnerung hatte und ich fing erstmals an, die Dokumente zu ordnen. Die Differenzen, zwischen meinen Kenntnissen und den Dokumenten, wuchsen und ich begann in Archiven nach zusätzlichen Dokumenten zu suchen. Einige Ergebnisse habe ich bereits, andere stehen noch aus.

Was ich natürlich am Anfang nicht ahnte war, dass die Arbeit hochkompliziert ist, dass mit jedem neuen Dokument die möglichen Verbindungen zum Geschehen der damaligen Zeit wachsen, und es stellt sich eine Frage: „ WER und WAS war mein Vater wirklich?“.

Es kann also sein, dass ich feststelle, dass mein Vater KGB-Opfer oder KGB-Agent war (gleiches gilt für das MfS der DDR), dass er bekennender Katholik oder Atheist war, dass er seinen Beruf als Dolmetscher und Übersetzer vielleicht nur als Tarnung ausübte oder auch nicht.

Ich will es aber wissen. In diesem Blog werde ich meine Arbeit schildern, die Versionen gegenüberstellen und versuchen anhand der Dokumente eine komplette Biographie zu erarbeiten.