Noch einige Auszüge aus dem Buch.
[Mischket Liebermann; Aus dem Ghetto in die Welt; Verlag der Nation 1977; 3. Auflage 1995; ISBN 3-373-00495-0; S 268 ff]
Er nimmt einen Stoß Zettel aus seiner Tasche und legt ihn mir auf den Tisch. Einige sind schon zerschlissen. Verse über den Frühling, Verse über den Herbst, Verse an die Mutter. Nicht unbegabt. Ein Theaterstück gegen die braune Pest ist dabei. Politisch verworren, voller Mystik. Ich lese es und sage es ihm. Er begreift nicht. Kann es auch noch nicht. Aber der Wille ist da.
Er wird also ins Lager 1 versetzt, zum Normbüro als Schreiber.
Endlich entsteht auch im Lager 1 ein eigenständiges kulturelles Leben, mit einer Kapelle, einem Quartett, einer Theatergruppe. Josef K. ist die Seele des Unternehmens. Er inszeniert „Die Räuber“ und „Der Neffe als Onkel“ von Schiller und „Tay Yang erwacht“ von Friedrich Wolf. Er schreibt eine für meine Begriffe kitschige Revue „Miss Evelin“. Da es zu Silvester ist, drücke ich ein Auge zu. Der Kapellmeister, Toni N., komponiert die Musik dazu. Es wirken viele Kriegsgefangene mit, auch Offiziere, die sich bisher von allem fernhielten.
So weit also die Aussagen von Frau Liebermann über meinen Vater. In den nächsten Artikeln folgen Auszüge aus dem Büchlein „Erinnerungen“, sozusagen dem Lagerbuch meines Vaters. Er hat es geführt von 1946 bis 1948.