Ende der Gefangenschaft

Die Kriegsgefangenschaft bestand natürlich nicht aus Kulturarbeit, ich habe aber diesen Aspekt besonders herausgearbeitet, da dort die ergiebigsten Quellen vorliegen.
Weitere literarische Erwähnungen fand ich bei Heinrich Gerlach [Odyssee in Rot – Bericht einer Irrfahrt; 1966 Nymphenburger Verlagsbuchhandlung GmbH., München, Verlagsnummer 718]. Ab dem 14.  Kapitel findet man die Gestalt des Jupp Tröger [Gerlach betont die Umbenennung der handelnden Personen im Vorwort]:

Ein junger Mann in Zivil. Brauner Anzug aus Arbeitsdiensttuch, schwarze Halbschuhe, Schlips und Kragen. Darüber ein gebräuntes Gesicht, ein schwarzes Bärtchen auf der Oberlippe. Ein verblüffendes Double des Otto von Habsburg, des verhinderten Kaisers. Sudetendeutscher.

Natürlich findet man dort auch Frau Liebermann. Die Darstellung weicht selbstverständlich von der im bereits besprochenen Buch ab, das ist aber dem Standpunkt der Verfasser geschuldet. Übereinstimmend ist aber die Schilderung der Kulturarbeit.
Gerlach schildert hier auch die Stellung von „Jupp Tröger“:

Jupp Tröger war, so viel wußte man schon, war als Arbeitseinsatzleiter vielleicht der mächtigste Mann im Lager. Er vergab die Arbeitsplätze. Die guten und die schlechten. Und die ganz schlechten, die viehischen in den Knochenmühlen, so etwas gab es. Er war Herr über Tod und Leben. Er allein überblickte alles, die russische Lagerleitung war ohne ihn hilflos. Mit den Sowjetoffizieren in der Budka sprang er um wie mit Rekruten.

Über das Ende der Kriegsgefangenschaft findet sich nur ein Eintrag,

Am 23.9.1948 wurde ich aus sowj. Kriegsgefangenschaft entlassen.

schreibt er im Lebenslauf von 1950.
Dazu gibt es keine weiteren Unterlagen, wie und warum er nicht nach Thüringen, zu seinen Eltern, sondern nach Leipzig ging, lässt sich nur aus seinem Aufenthalt, vor der Einberufung, in Leipzig erklären.
Am 24.09.1948 beginnt er seinen Dienst bei der Volkspolizeibereitschaft in Leipzig.

1946 – 1948 Mischket Liebermann III

Noch einige Auszüge aus dem Buch.
[Mischket Liebermann; Aus dem Ghetto in die Welt; Verlag der Nation 1977; 3. Auflage 1995; ISBN 3-373-00495-0; S 268 ff]

Er nimmt einen Stoß Zettel aus seiner Tasche und legt ihn mir auf den Tisch. Einige sind schon zerschlissen. Verse über den Frühling, Verse über den Herbst, Verse an die Mutter. Nicht unbegabt. Ein Theaterstück gegen die braune Pest ist dabei. Politisch verworren, voller Mystik. Ich lese es und sage es ihm. Er begreift nicht. Kann es auch noch nicht. Aber der Wille ist da.

Er wird also ins Lager 1 versetzt, zum Normbüro als Schreiber.

Endlich entsteht auch im Lager 1 ein eigenständiges kulturelles Leben, mit einer Kapelle, einem Quartett, einer Theatergruppe. Josef K. ist die Seele des Unternehmens. Er inszeniert „Die Räuber“ und „Der Neffe als Onkel“ von Schiller und „Tay Yang erwacht“ von Friedrich Wolf. Er schreibt eine für meine Begriffe kitschige Revue „Miss Evelin“. Da es zu Silvester ist, drücke ich ein Auge zu. Der Kapellmeister, Toni N., komponiert die Musik dazu. Es wirken viele Kriegsgefangene mit, auch Offiziere, die sich bisher von allem fernhielten.

So weit also die Aussagen von Frau Liebermann über meinen Vater. In den nächsten Artikeln folgen Auszüge aus dem Büchlein „Erinnerungen“, sozusagen dem Lagerbuch meines Vaters. Er hat es geführt von 1946 bis 1948.

1946 – 1948 Mischket Liebermann II

Das nächste Kapitel des Buches handelt von ihrer ersten Begegnung mit meinem Vater. Einige Auszüge daraus:
[Mischket Liebermann; Aus dem Ghetto in die Welt; Verlag der Nation 1977; 3. Auflage 1995; ISBN 3-373-00495-0; S 268 ff]

Gestatten, ehemaliger Gefreiter
Vor mir steht ein Kriegsgefangener, unscheinbar, hager, mit gelblich-braunem Gesicht. Und auch etwas Arroganz in seinen lebhaften Augen. „Sie sind noch nicht lange in unserem Lager?“ „Drei Wochen. Zwei davon im Lazarett.“ „Warum sind Sie nicht gleich zu mir gekommen?“ „Ich mochte nicht.“ „Und warum nicht?“
Er steht lässig da, hält das Käppi in beiden Händen, dreht es einmal rechtsrum, einmal linksrum und schweigt. „Wollen Sie sich mir nicht vorstellen?“ fordere ich ihn auf, um das Schweigen zu brechen.
Der junge Mann, der sich soeben noch unkonventionell verhielt, nimmt plötzlich Haltung an. Nicht ohne Ironie leiert er runter: „Gestatten, ehemaliger Gefreiter Josef K. vom Fünfhundertfünfunddreißigsten Panzergrenadierregiment der Sechsten Armee.“

Auf die Frage „Was können Sie?“ antwortet er:

„Was ich kann? ehrlich gesagt nichts. Ich war zwanzig, als ich vor zwei Jahren am Heiligabend mit fünfzehn anderen Kameraden in Kriegsgefangenschaft ging. Hab´zwei Jahre Zeitungswissenschaften studiert.“ „Was hat Sie dazu bewogen, überzulaufen?“ „Ich war Nazigegner aus meiner Religiosität heraus.“ „Und die anderen?“ „Hatten die Schnauze voll vom Krieg.“