18. März 2011, Herzlichen Glückwunsch zum 88. Geburtstag !

Heute vor 88 Jahren:

Am 18. März, dem Passionssonntag des Jahres 1923 wurde Josef Köhler, als Sohn von Anton und Philomena Köhler, im Dorfe Fleyh (Flaje), im böhmischen Erzgebirge, geboren.
Es ist anzunehmen, dass seine Eltern ihn nach dem heiligen Joseph, dessen Tag am 19. März begangen wird, benannten. In den Familien Köhler und Seifert war dieser Name auch über Generationen für mindestens einen Sohn üblich. Anton (geb. 23.Januar 1885) war der Sohn von Josef Köhler und Emilia geb. Zeidler, deren Vater Josef Zeidler hieß. Philomena (geb. 8.Juli 1888) war die Tochter des Josef Seifert (geb. 6.3.1857) und Veronika geb. Preißler (geb. 5.2.1853) sie war die Tochter des Ferdinand Preißler. Die Familie Seifert führte den Beinamen „Vogelsteller“, nach der Geschichte, die Philomena erzählte, war in grauer Vorzeit ein Vogelsteller aus dem Italienischen übers Gebirge gekommen und hatte sich in Fleyh niedergelassen. Nachdem er in die Familie Seifert eingeheiratet hatte, führte diese den Beinamen.

Dies wird wahrscheinlich der Beginn der Lebensbeschreibung meines Vaters sein, wenn das Buch wie vorgesehen 2013 veröffentlicht wird.
Seit über zwei Jahren forsche ich jetzt über sein Leben, die zeitgeschichtlichen Aspekte seines Lebens und seiner Berufstätigkeit. Über Jesuitenseminar, HJ, Wehrmacht, Stalingrad, sowjetische Kriegsgefangenschaft, NKFD, Volkspolizei, Studium, Gulag, NKWD, MWD, KGB, MfS, SED, VdS um nur einige aktive und passive Bezüge in seinem Lebenslauf zu nennen, führte sein Lebensweg und reichen diese Forschungsarbeiten.

Es haben sich auch Helfer und Unterstützer gefunden, ohne die ich vielleicht schon die „Flinte ins Korn“ geworfen hätte. Diesen sei hier wieder einmal gedankt.
Leider ist mein Vater bereits 1994 verstorben, viele seiner Kameraden, Kollegen und Freunde sind ebenfalls nicht mehr am Leben. Aber die Forschung geht weiter.
Egal was ich auch noch entdecke, er war mein Vater den ich liebe und achte.
Also Herzlichen Glückwunsch!

Unsere Familie in den 60er Jahren

Bevor ich die 60er Jahre abschließe und mit dem neuen Jahrzehnt beginne, möchte ich noch einige Worte zu den Lebensumständen unserer Familie verlieren.
Wir wohnten also mit drei Generationen in einer viereinhalb Zimmer Wohnung mit zwei getrennten Küchen. Die getrennten Küchen waren notwendig, da sich unsere Mutter und unsere Großmutter in einer Küche nie vertragen hätten. Eineinhalb Zimmer hatten unsere Großeltern, ein Zimmer war die „gute Stube“, ein Zimmer kombiniertes Arbeits- und Elternschlafzimmer und das andere unser Kinderzimmer – eine große Bürgerwohnung von insgesamt rund 130 m², mit vier großen Berliner Öfen, zwei Küchenöfen einem Badeofen und einem „Kanonenofen“. Allein das Heizen im Winter war schon viel Arbeit. Gekocht wurde mit Gas, und bevor der erste elektrische Kühlschrank gekauft wurde, stand im Flur ein Eisschrank. Ich erinnere mich, dass morgens der Eismann kam und Eisblöcke brachte die dann in diesen Schrank gelegt wurden, wo sie langsam abschmolzen und somit die Lebensmittel kühlten. Man musste aber stets aufpassen, dass die Auffangschüssel nicht überlief.
Die drei Räume, die von unseren Eltern und uns Kindern bewohnt wurden, hatten Parkettfußboden und Stuck an den Decken. In den übrigen Räumen waren die Fussböden mit Dielung bzw. in den Nassräumen mit Estrich versehen.
Am beeindruckendsten war das Arbeitszimmer unseres Vaters, dazu gibt es eine Geschichte:
Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre beschlagnahmte die FDJ-Stadtleitung die Villa des Baedeker Verlages in der Käthe-Kollwitz-Straße. Unser Großvater hatte seine Werkstatt gleich um die Ecke und somit wurde er beauftragt das Arbeitszimmer – diese bürgerlich dekadenten Möbel – zu Brennholz zu verarbeiten. Da unser Vater sich gerade selbständig machte, tat Opa dies nicht, sondern er baute die Möbel auseinander, transportierte sie in einem Leiterwagen nach Hause und baute sie dort wieder zusammen. Leider gelang es ihm nicht, alles zu retten. Einige Glasteile wurden vorher schon zerstört. Als unsere Eltern die Wohnung nach der Wende aufgeben mussten, verkauften sie diese Möbel an einen Architekten aus Köln. Leider habe ich noch kein Bild gefunden, auf dem dieses Zimmer abgebildet ist. In späteren Jahren war die Baedeker Villa das Leipziger „Jugendtouristenhotel“, ich habe an einigen Wandtäfelungen die Verzierungen des Arbeitszimmers wiedergefunden.
Als unsere Mutter sich ebenfalls selbständig machte, zuerst als Schreibkraft für unseren Vater, später auch als Übersetzerin, wurde eine Reinigungskraft benötigt. Also kam von da an jeden Donnerstag früh zuerst eine Frau Kuss aus Wiederitzsch, später eine Frau Rojahn, die gleich bei uns in der Nähe wohnte. Am Donnerstag wurde also eine Grundreinigung aller Zimmer gemacht, selbst unser Vater musste an diesem Tag sein Arbeitszimmer für eine Stunde verlassen. Die beiden Frauen gehörten sozusagen fast zur Familie. Mein Bruder und ich besuchten die Familie Kuss auch manchmal. Sie hatten eine deutsche Schäferhündin, mit der wir gern spielten, und es war schön, mal von zu Hause wegzukommen.
Einschließlich der Friseuse, die zu unserer Mutter nach Hause kam, der Reinigungskraft, der sonntäglichen Kirchgänge und überhaupt der freiberuflichen Tätigkeit unserer Eltern, lebten wir also in einem für die DDR atypischen Haushalt.

Fleyh – Stimmen aus der Vergangenheit

Im Nachlass meines Vaters befinden sich auch Briefe aus den Jahren 1946 – 1950. Einen dieser Briefe möchte ich an dieser Stelle veröffentlichen, da er zu dem Thema Fleyh – Heimat meines Vaters passt. Der Brief ist in Sütterlin geschrieben. Die Handschrift kann ich nicht lesen, deshalb haben sich Herr Rudolf Schneider und Frau Dr. Franziska Rauscher freundlicherweise dazu bereit erklärt, mir diesen zu „übersetzen“. Die folgende Transkription des Briefes enthält Erläuterungen zu den Personen und Orten, die durch Herrn Schneider hinzugefügt wurden.

Die Familie Josef Karasek bestand aus den Eltern, vier Mädchen und einen Jungen, der in dem Brief aber nicht erwähnt wird. Der Ernst ist erst 1936 geboren und war 1946 noch Schüler. Die Schreiberin, Maria Karasek ist offensichtlich die Schwester von Josef Karasek und hat mit ihrem Vater mit im Hause Nr. 56 gewohnt. Wenn ich mich recht erinnere, hatte sie einen Buckel und war nicht verheiratet. Sie war aber Näherin und die Nähmaschine war ihr ein und alles. [Rudolf Schneider]

Text des Briefes:

Liebe Familie Köhler !

17.11.1946

Endlich nach 4 Monaten erhielt ich durch Schmiedalbin [1] Ihre werte Adresse. Auch uns ist nun dasselbe Los beschieden, denn wir sind am 5. September von Fleyh fort gekommen. Wir erhielten  abends um ½ 10 Uhr Befehl, früh um 8 Uhr am Dorfplatz zu sein. Nun war aber Vater, ich und Ottel [2] nicht dabei, wie ging das. Wir mußten zur Narodni Wipor [3] wegen der Ottl und wegen uns [4], mußten früh zeitig nach Moldau [5]. Ich hatte ein Gesuch wegen der Nähmaschine gemacht, es wurde auch zugesagt. Wie wir früh hinkamen, gab es Tschich und Golascheck [6] nicht zu und trotz bitten und betteln mußte ich sie aus der Kiste herausgeben, in Dux hätte ich sie erhalten, die waren sehr fein bei der Durchsuchung [7]. Na, komplett haben sie die Tschechen nicht, ich habe die Spulchen und die Bestandteile zum Endeln und Knopflöcher nähen sowie Riemen Nadeln alles hier. Wenn ich drum komm [8], haben sie auch nichts. Doch nun steh ich in der Fremde ohne Erwerb. Erst waren wir 14 Tage hier in Wittenburg im Lager, kamen dann am 23. in das Quartier, haben ein großes und ein kleines Zimmer und eine kleine Küche richteten wir uns aus einem Bad. [9]. Seiche Richart [10] setzte uns einen Ofen. Die Wohnung war ganz leer. Die Kisten sind Tisch und Stuhl. Ich war anfangs einige Halbtage Kartoffel glauben [11] erhielt jedesmal für einen Halbtag 30 Kilo. Dann stoppelte ich noch paar dazu, damit ich für Vater und mich zum Zusetzen hab. Jetzt gehe ich Halbtagsweise hausnähen und auf der Hausfrau ihrer Maschine kann ich auch nähen. Doch das Heimweh werde ich nicht los. Mit uns kamen Michlfranzenton [12], Briggensef [13], Seiche Richard, Titelbauerfranz [14], Schlegel [15] und Lorenzenalbin [16] mit fort und sind auch alle hier [17]. Gott sei Dank. Wir haben eine katholische Kirche hier, 2 Geistliche. Also jeden Tag 2 hl Messen um ½ 7 Uhr und um 7 Uhr. Ich habe es auch näher wie zu Hause. Gehe jeden morgen um ¼ 7 Uhr. Geh sage ich. So feierlich ist es wie an einem Wallfahrtsort. Und die schönen Predigen. Es sind meistens alles Flüchtlinge von Reichenberg, Böhm. Leipa, Brüx, Komotau, auch einige Moldauer sind hier.
Nun meine Lieben! Habt Ihr von Pepi wieder mal Post bekommen. Kohl Ernst von Motzdorf ließ auch schon lange nichts hören und jetzt ist er in Russland gefangen. Und so hörte ich schon, daß mancher schon für tot erklärt wurde und jetzt wieder geschrieben hat. Ich würde Ihnen wünschen, wenn Pepi plötzlich käm.
Mein Bruder erhielt am 10 November von Doktor Hellmich aus Fleyh einen Brief. Er hat ihn am 31. Oktober geschrieben und teilte uns mit, daß die paar Deutschen noch drin sind und Seifert Karl [18] vielleicht in unser Haus müßte, weil er die Säge versteht [19]. Wißt Ihr, daß er bei der Hanselmarie [20] ist und Schmiedsef [21] bei der Liebscher Hilde [22]? Wie wird es den paar Deutschen gehen? Suhrsef [23] ist bei Rudolf [24] wo Drexler war [25]. In den Stall und Scheuer kam das ganze Vieh von den Leuten, die fort waren und jetzt stehn blos noch drei Kühe dort, so schrieb uns Doktor Hellmich. Auch liegt schon …… bei uns [26]. Drei Dinge sind es die ich sehr vermisse und zwar: das Grab meiner Mutter, die Nähmaschine und die gute Milch. Hier sieht  man, obzwar hier sehr viel Landwirtschaft ist, keinen Tropfen. Bruder geht als Mühlenbauer, Annl ist bei einem Lehrer in Stellung, Ottl in der Zuckerfabrik, die Schwägerin und Martha gehen zu den Bauern, Maritsch und ich, kochen Kartoffel und Kraut und Kraut und Kartoffel [27]
Nun will ich schließen, nehmt es mir nicht übel, wenn ich Euch belästige, es drängt mich fast [28] und wenn ich schreibe, ist es, als ob ich mit Euch reden könnte, wir haben viel verloren, denn wir haben unsere Heimat verloren, doch wenn wir nur den Glauben nicht verlieren, werden wir auch unser Schicksal geduldig ertragen. Vielleicht sehen wir uns auch einmal wieder. Also nochmals herzliche Grüße
Eure Maria Karasek und Angehörige

Legende:
1 Albin Schindler, Haus Nr. 16, war von Beruf Schmied
2 eine der Töchter von Josef Karasek
3 Narodni Vipor heißt so viel wie Nationalausschuß, Stadtverwaltung, Gemeindeverwaltung
4 sie meint sicher sich und ihren Vater
5 auf der Ausweisungsliste stand scheinbar nur Josef Karasek mit Frau und Kindern, die Tante mit ihrem Vater war offensichtlich nicht dabei. Und die Ottl war meines Wissens Hausangestellte in Moldau
6 das müssen die Namen von zwei Tschechen sein, die der Schreiberin bekannt waren
7 das paßt nicht ganz zu der Aussage von Anna Karasek. Siehe „Chronographie der Ortschaft Fleyh“ Teil 2 Seite19
8 soll wohl heißen: „wenn man mir das nimmt“
9 Diese Schilderung der Wohnverhältnisse deckt sich teilweise mit der Aussage von Anna Karasek. Siehe „Chronographie der Ortschaft Fleyh“ Teil 2 Seite 19. Anna Karasek ist Jahrgang 1925 und die Schreiberin ist ihre Tante
10 Seiche Richard stammt aus dem Nachbarort Motzdorf, aus dem Hause Nr. 57
11 Kartoffel lesen
12 Anton Köhler aus Fleyh, Haus Nr. 58 (nicht der Vater von Josef Köhler)

13 Josef Schwabe aus Fleyh, Haus Nr. 18, Spitzname = Brückenseff
14 Franz Weinelt aus dem Nachbarort Motzdorf, Haus Nr. 16
15 Anton Schlegel aus dem Nachbarort Motzdorf, Haus Nr. 11
16 Albin Preißler aus dem Nachbarort Motzdorf, Haus Nr. 34
17 Karasek war das letzte Haus in Fleyh, Richtung Motzdorf. Wer von den Motzdorfer Bürgern am 5. September 1946 mit ausgewiesen wurde, war mir bisher nicht bekannt
18 Vogelsteller-Korl, der Bruder Ihrer Mutter
19 was damit gemeint ist, verstehe ich nicht [vielleicht Umgang mit einer Motorsäge / Sägemaschine T.K.]
20 Haus Nr. 76
21 Josef Schindler, Haus Nr. 55
22 Haus Nr. 1
23 Josef Pohl, Haus Nr. 73
24 Josef Höbelt, Haus Nr. 19
25 Nachbar von Josef Höbelt
26 wahrscheinlich heißt das fehlende Wort „Schnee“
27 die angeführten Namen sind die Namen der 4 Töchter, die Josef Karasek hatte. 1936 kam noch ein Junge dazu, der Ernst. Sie waren also eine siebenköpfige Familie
28 sie meint sicher : „es drängt mich halt“