Bevor ich die 60er Jahre abschließe und mit dem neuen Jahrzehnt beginne, möchte ich noch einige Worte zu den Lebensumständen unserer Familie verlieren.
Wir wohnten also mit drei Generationen in einer viereinhalb Zimmer Wohnung mit zwei getrennten Küchen. Die getrennten Küchen waren notwendig, da sich unsere Mutter und unsere Großmutter in einer Küche nie vertragen hätten. Eineinhalb Zimmer hatten unsere Großeltern, ein Zimmer war die „gute Stube“, ein Zimmer kombiniertes Arbeits- und Elternschlafzimmer und das andere unser Kinderzimmer – eine große Bürgerwohnung von insgesamt rund 130 m², mit vier großen Berliner Öfen, zwei Küchenöfen einem Badeofen und einem „Kanonenofen“. Allein das Heizen im Winter war schon viel Arbeit. Gekocht wurde mit Gas, und bevor der erste elektrische Kühlschrank gekauft wurde, stand im Flur ein Eisschrank. Ich erinnere mich, dass morgens der Eismann kam und Eisblöcke brachte die dann in diesen Schrank gelegt wurden, wo sie langsam abschmolzen und somit die Lebensmittel kühlten. Man musste aber stets aufpassen, dass die Auffangschüssel nicht überlief.
Die drei Räume, die von unseren Eltern und uns Kindern bewohnt wurden, hatten Parkettfußboden und Stuck an den Decken. In den übrigen Räumen waren die Fussböden mit Dielung bzw. in den Nassräumen mit Estrich versehen.
Am beeindruckendsten war das Arbeitszimmer unseres Vaters, dazu gibt es eine Geschichte:
Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre beschlagnahmte die FDJ-Stadtleitung die Villa des Baedeker Verlages in der Käthe-Kollwitz-Straße. Unser Großvater hatte seine Werkstatt gleich um die Ecke und somit wurde er beauftragt das Arbeitszimmer – diese bürgerlich dekadenten Möbel – zu Brennholz zu verarbeiten. Da unser Vater sich gerade selbständig machte, tat Opa dies nicht, sondern er baute die Möbel auseinander, transportierte sie in einem Leiterwagen nach Hause und baute sie dort wieder zusammen. Leider gelang es ihm nicht, alles zu retten. Einige Glasteile wurden vorher schon zerstört. Als unsere Eltern die Wohnung nach der Wende aufgeben mussten, verkauften sie diese Möbel an einen Architekten aus Köln. Leider habe ich noch kein Bild gefunden, auf dem dieses Zimmer abgebildet ist. In späteren Jahren war die Baedeker Villa das Leipziger „Jugendtouristenhotel“, ich habe an einigen Wandtäfelungen die Verzierungen des Arbeitszimmers wiedergefunden.
Als unsere Mutter sich ebenfalls selbständig machte, zuerst als Schreibkraft für unseren Vater, später auch als Übersetzerin, wurde eine Reinigungskraft benötigt. Also kam von da an jeden Donnerstag früh zuerst eine Frau Kuss aus Wiederitzsch, später eine Frau Rojahn, die gleich bei uns in der Nähe wohnte. Am Donnerstag wurde also eine Grundreinigung aller Zimmer gemacht, selbst unser Vater musste an diesem Tag sein Arbeitszimmer für eine Stunde verlassen. Die beiden Frauen gehörten sozusagen fast zur Familie. Mein Bruder und ich besuchten die Familie Kuss auch manchmal. Sie hatten eine deutsche Schäferhündin, mit der wir gern spielten, und es war schön, mal von zu Hause wegzukommen.
Einschließlich der Friseuse, die zu unserer Mutter nach Hause kam, der Reinigungskraft, der sonntäglichen Kirchgänge und überhaupt der freiberuflichen Tätigkeit unserer Eltern, lebten wir also in einem für die DDR atypischen Haushalt.