und danke für Deine Mail von gestern Abend liebe Maria.
Ich hätte natürlich an den Geburtstag meines Vaters gedacht. Aber Deine Mail hat mir gezeigt, dass ich nicht der Einzige bin der sich an ihn erinnert.
Im letzten Jahr veröffentlichte ich die drei Artikel zur „Büchse der Pandora“ die ich geöffnet habe. Seitdem musste ich mir immer wieder mal die Frage gefallen lassen „Wie stehst Du nun zu Deinem Vater?“ Von Seiten der Familie kamen auch Anfragen, ob es nicht besser wäre die Sache ruhen zu lassen. Meist schweigen die Beteiligten aber weiterhin.
Eine kleine Rückblende sei mir gestattet. Es gab viele Situationen in denen ich meinem Vater in seinem „Allerheiligsten“, seinem Arbeitszimmer, gegenüber saß und den Eindruck hatte er wolle etwas erzählen.
Warum fragte ich nie nach?
Heute würde ich es tun, es geht aber leider nicht mehr. So muss ich mich auf Akten stützen und Handlungen nachvollziehen. Die Gründe kann ich nur versuchen zu verstehen. Bewerten kann ich diese nicht. Kritik üben ist im Nachhinein einfach, fast schon zu einfach. Also beschränke ich mich darauf diese Handlungen zu dokumentieren, zu analysieren ohne sie zu bewerten.
Wie stehe ich nun zu meinem Vater? Es hat sich nichts geändert. Ich habe ihn geliebt, wie jedes Kind und jeder Jugendliche habe ich zeitweilig gedacht „Der Alte kann mich mal…“. Am Ende habe ich ihn für seine Arbeit und seine Selbstdisziplin bewundert.
Maria, Du schreibst „Es geht uns allen so: die Eltern haben uns sooo Vieles nicht erzählt, besonders wenn es um den 2. Weltkrieg ging; die Zeitzeugen sterben aus, Fotos können wir nicht mehr zuordnen und viele Fragen bleiben wohl für immer unbeantwortet.“ das ist wahr. Also kann ich nur hoffen, dass einige offenen Fragen noch beantwortet werden können. An die, die ihre Eltern noch haben, der Appell „Fragt sie bevor es zu spät ist.“
Eigentlich wollte ich ja heute mit der Biographie fertig sein, aber das war nicht zu schaffen. Es wird wohl noch Jahre dauern. Also Geduld und das Versprechen „Ich mache weiter“.
An dieser Stelle gilt mein Dank allen, die mich unterstützen.
Außer meiner engeren Familie seien hier namentlich Rudolf Schneider, Werner Sperling, Friedhelm Kröger und Peter Steger, stellvertretend für alle, genannt. Besonderer Dank gilt den, hier namentlich nicht genannten, Mitarbeitern der BStU und des Archivs des BND.
Die Büchse der Pandora ist geöffnet – ein Jahr später
Eigentlich wollte ich natürlich nur einige Details zu meiner Geschichte klären. Meine Mutter hatte 1994 eine Rehabilitation für die Haftzeit 1959/60 und eine Haftentschädigung für diese beim Amtsgericht Leipzig eingeklagt. Die Klage wurde abschlägig beschieden, aber dadurch kamen die ersten Unterlagen des MfS in meine Hände. Dort hieß es zu meinem Erstaunen in einem Dokument von 1959, dass Josef Köhler „inoffizieller Mitarbeiter der sowjetischen Sicherheitsorgane“ war.
Ein Jahr nach dem Öffnen der Büchse der Pandora las sich die Geschichte in den Grundzügen schon anders. Dazwischen lag ein umfangreiches Aktenstudium bei der BStU, erste Kontaktaufnahmen mit Zeitzeugen und das Auffinden von Dokumenten aus anderen Quellen.
Euer (Ur) Großvater wurde 1923 in einem kleinen Erzgebirgsdorf, in der heutigen tschechischen Republik, geboren. Seine Eltern waren streng katholische Bauern und Handwerker, die ihren Sohn für den Priesterberuf vorgesehen hatten, deshalb besuchte er auch das bischöfliche Knabenseminar in Mariaschein. Im Jahre 1939 wurde das damals tschechische Gebiet dem Deutschen Reich einverleibt, das Seminar wurde geschlossen und Josef musste auf eine öffentliche Schule wechseln. Zwangsweise wurde er dort Mitglied der Hitlerjugend. Weil er den Kontakt zu seinen tschechischen Freunden nicht abbrechen wollte, wurde er aus dieser Organisation unehrenhaft entlassen. Dadurch wurde das Verbleiben an der Schule unmöglich, er wechselte zuerst an eine andere Schule und ging schließlich nach Leipzig. Seit dieser Zeit war er ein erklärter Gegner der Nationalsozialisten. In Leipzig besuchte er einen Lehrgang für Englisch, hörte Vorlesungen in Journalismus und schlug sich so recht und schlecht durch. Nach Aussage eines Zeitzeugen (aus späteren Jahren) war er eventuell sogar im Widerstand tätig.
1942 wurde Josef zur Wehrmacht einberufen, dort zum Panzergrenadier ausgebildet und besuchte im Anschluss an die Grundausbildung einen Kriegsoffiziersbewerberlehrgang. Ende 1942 wurde Josef an die Ostfront, nach Stalingrad, geschickt. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit lief er zur Roten Armee über, er kämpfte auf sowjetischer Seite und wurde später, in ein Kriegsgefangenenlager geschickt. Dort arbeitete er in der Lagerleitung und auf kulturellem Gebiet. 1946 verpflichtete er sich zur Zusammenarbeit mit den sowjetischen Behörden. Ende 1948 wurde er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und er ging nach Leipzig wo er bei der Deutschen Volkspolizei arbeitete und Mitglied der SED wurde. Er war Dolmetscher für einen sowjetischen Berater, Fahnder bei der Kriminalpolizei und wieder Kulturfunktionär. Weiterhin arbeitete er ehrenamtlich in der Stadtbezirksleitung der SED.
1950 kündigte er den Dienst bei der Polizei, legte seine Begabtenprüfung ab und begann ein Studium der Russischen Sprache an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Josef holte seine Eltern, die aus ihrer Heimat vertrieben waren, nach Leipzig und hatte ein eheähnliches Verhältnis.
Mitte 1951 wurde er in Berlin vom MfS verhaftet, dem MWD (später KGB) übergeben und nach halbjähriger Haft in ein Lager bei Workuta geschickt. Die Anklage lautete auf Geheimnisverrat und antisowjetische Tätigkeit. Von Workuta aus wurde er 1953 in das Übergangslager Tapiau geschickt und Ende 1953 entlassen. Da sein Verbleib nicht bekannt war, wurde Josef, wegen des Verdachtes auf Republikflucht, aus der SED ausgeschlossen und von der Universität exmatrikuliert.
Josef ging nach der Entlassung wieder nach Leipzig, lernte dort seine spätere Frau kennen, die in Untermiete bei seinen Eltern wohnte, und machte sich als Dolmetscher und Übersetzer selbständig. Mit Kollegen zusammen gründete er einen erfolgreichen Übersetzerbetrieb. Einige seiner Kollegen waren, wie er, inoffizielle Mitarbeiter des KGB. Dies legt nahe, dass der Betrieb vom KGB unterstützt wurde. Somit war es möglich Großaufträge zu akquirieren, die normalerweise nur an staatliche Betriebe vergeben wurden. Dieser Betrieb war aber zu erfolgreich und machte dem staatlichen Übersetzerbetrieb Konkurrenz. Deshalb wurde Josef am 24. Dezember 1959 von der Stasi verhaftet, ohne Verfahren mehrere Monate eingesperrt und der Betrieb wurde verstaatlicht. Hier endete auch die Zusammenarbeit mit dem KGB.
Euer (Ur) Großvater arbeitete also trotz alle Erschwernisse weiter in seinem Beruf, engagierte sich gesellschaftlich im Berufsverband der Dolmetscher und Übersetzer und lehrte Russisch an der Volkshochschule. Trotz aller Bemühungen war das Geld manchmal knapp, Aufträge blieben aus, aber er meisterte dies mit seiner Frau gemeinsam.
Gegen 1987/88 nahm das Ministerium für Staatssicherheit, eben die Leute die ihn bis dahin verfolgt hatten, Kontakt zu ihm auf. Grund waren seine guten Kontakte zu sowjetischen Bürgern und seine gesellschaftliche Arbeit. Natürlich war der Hauptgrund die Perestroika in der Sowjetunion unter Gorbatschow. Er nutzte diese Kontakte um Kollegen zu helfen, ansonsten begrüßte er die Entwicklung in der Sowjetunion aus vollem Herzen.
Die Wende in der DDR begrüßte er ebenfalls, aber nicht die Vereinigung mit der Bundesrepublik.
1991 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, Parkinson wurde diagnostiziert und 1994 starb Josef im Alter von 71 Jahren.
Diese Geschichte klingt nun schon anders. War Josef in der ersten Geschichte noch sozusagen „unschuldig“ in den Zeitverlauf verstrickt, so ist die zweite Version schon anders. Besonders durch die Zusammenarbeit mit dem KGB.
Hier hörte natürlich auch langsam die Familiengeschichte für Kinder und Enkel auf, die man an einem Winterabend erzählt. Dafür beginnt die Geschichte von Josef A. Köhler.
18. März 2013 – 89. Geburtstag
Wie jedes Jahr, gedenke ich auch heute des Geburtstages meines Vaters. Allerdings auf andere Art als in den vergangenen Jahren. Heute veröffentliche ich drei Artikel über meine Arbeit an der Biographie, diese sollen den Stand der Arbeit darstellen. Angefangen mit dem folgenden Artikel, der den ersten Ansatz beschreibt. Sozusagen mit der Zusammenfassung seines Lebens, die mir aus meiner Kindheit und Jugend bekannt war.
Für meine Forschungsarbeit habe ich bewusst die Metapher der Büchse der Pandora gewählt, die wohl jeder aus der griechischen Mythologie kennt.
Die Büchse der Pandora
Wenn Ihr mal die Büchse der Pandora öffnet, dann macht Euch darauf gefasst, dass Euch der Inhalt nicht gefallen muss.
Das kann passieren, wenn man die Lebensgeschichte einer einem nahe stehenden Person schreibt . So erging es mir mit der meines Vaters. Dessen bewegtes Leben wollte ich für die Nachwelt, in Person meiner Kinder und eventueller Enkel, aufschreiben .
Eigentlich sollte es eine Geschichte werden die man an langen Winterabenden, in trautem Familienkreise, erzählen kann. Eben in der alten, heute meist vergessenen, Tradition.
In der Zusammenfassung hätte das in etwa so geklungen:
Euer (Ur) Großvater wurde 1923 in einem kleinen Erzgebirgsdorf, in der heutigen tschechischen Republik, geboren. Seine Eltern waren streng katholische Bauern und Handwerker, die ihren Sohn für den Priesterberuf vorgesehen hatten, deshalb besuchte er auch das bischöfliche Knabenseminar in Mariaschein. Im Jahre 1939 wurde das damals tschechische Gebiet dem Deutschen Reich einverleibt, das Seminar wurde geschlossen und Josef musste auf eine öffentliche Schule wechseln. Damit war er natürlich nicht einverstanden, seit dieser Zeit war er ein erklärter Gegner der Nationalsozialisten.
1942 wurde Josef zur Wehrmacht einberufen, dort zum Panzergrenadier ausgebildet und an die Ostfront, nach Stalingrad, geschickt. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit lief er zur Roten Armee über, er kämpfte auf sowjetischer Seite und wurde später, als normaler Gefangener, in ein Kriegsgefangenenlager geschickt. Bis 1953 war er in verschiedenen Lagern inhaftiert, arbeitete dort viel auf kulturellem Gebiet und wurde Ende 1953 entlassen. Josef kam nach Leipzig wo seine Eltern lebten, die inzwischen aus ihrer Heimat ausgesiedelt waren, lernte dort seine spätere Frau kennen und machte sich als Dolmetscher und Übersetzer selbständig. Mit Kollegen zusammen gründete er einen erfolgreichen Übersetzerbetrieb. Dieser war aber zu erfolgreich, deshalb wurde Josef am 24. Dezember 1959 von der Stasi verhaftet, ohne Verfahren mehrere Monate eingesperrt und der Betrieb wurde verstaatlicht.
Er hätte nun allen Grund gehabt ein Gegner der Sowjets und der DDR zu sein, aber durch seine politische Überzeugung gab es für ihn keine Alternative.
Euer (Ur) Großvater arbeitete also trotz alle Erschwernisse weiter in seinem Beruf, engagierte sich gesellschaftlich im Berufsverband der Dolmetscher und Übersetzer und lehrte Russisch an der Volkshochschule. Trotz aller Bemühungen war das Geld manchmal knapp, Aufträge blieben aus, aber er meisterte dies mit seiner Frau gemeinsam.
Gegen 1987/88 nahm das Ministerium für Staatssicherheit, eben die Leute die ihn bis dahin verfolgt hatten, Kontakt zu ihm auf. Grund waren seine guten Kontakte zu sowjetischen Bürgern und seine gesellschaftliche Arbeit. Natürlich war der Hauptgrund die Perestroika in der Sowjetunion unter Gorbatschow. Er nutzte diese Kontakte um Kollegen zu helfen, ansonsten begrüßte er die Entwicklung in der Sowjetunion aus vollem Herzen.
Die Wende in der DDR begrüßte er ebenfalls, aber nicht die Vereinigung mit der Bundesrepublik.
1991 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, Parkinson wurde diagnostiziert und 1994 starb Josef im Alter von 71 Jahren.
Diese Rahmengeschichte, etwas ausgebaut und mit persönlichen Erlebnissen und Erzählungen von Zeitzeugen ergänzt, wollte ich also erzählen.
Sozusagen die Geschichte eines „stillen Helden“. Es wäre eine schöne Familiengeschichte gewesen, mit vielen Lehren für die nachfolgenden Generationen. So wie „nie unterkriegen lassen!“ und Ähnliches.
Aber dann öffnete ich die Büchse der Pandora.