18. März 2013 – 89. Geburtstag

Wie jedes Jahr, gedenke ich auch heute des Geburtstages meines Vaters. Allerdings auf andere Art als in den vergangenen Jahren. Heute  veröffentliche ich drei Artikel über meine Arbeit an der Biographie, diese  sollen den Stand der Arbeit darstellen. Angefangen mit dem folgenden Artikel, der den ersten Ansatz beschreibt. Sozusagen mit der Zusammenfassung seines Lebens, die mir aus meiner Kindheit und Jugend bekannt war.
Für meine Forschungsarbeit habe ich bewusst die Metapher der Büchse der Pandora gewählt, die wohl jeder aus der griechischen Mythologie kennt.
Die Büchse der Pandora
Wenn Ihr mal die Büchse der Pandora öffnet, dann macht Euch darauf gefasst, dass Euch der Inhalt nicht gefallen muss.
Das kann passieren, wenn man die Lebensgeschichte einer einem nahe stehenden Person schreibt . So erging es mir mit der meines Vaters. Dessen bewegtes Leben wollte ich für die Nachwelt, in Person meiner Kinder und eventueller Enkel, aufschreiben .
Eigentlich sollte es eine Geschichte werden die man an langen Winterabenden, in trautem Familienkreise, erzählen kann. Eben in der alten, heute meist vergessenen, Tradition.
 In der Zusammenfassung hätte das in etwa so geklungen:

Euer (Ur) Großvater wurde 1923 in einem kleinen Erzgebirgsdorf, in der heutigen tschechischen Republik, geboren. Seine Eltern waren streng katholische Bauern und Handwerker, die ihren Sohn für den Priesterberuf vorgesehen hatten, deshalb besuchte er auch das bischöfliche Knabenseminar in Mariaschein. Im Jahre 1939 wurde das damals tschechische Gebiet dem Deutschen Reich einverleibt, das Seminar wurde geschlossen und Josef musste auf eine öffentliche Schule wechseln. Damit war er natürlich nicht einverstanden, seit dieser Zeit war er ein erklärter Gegner der Nationalsozialisten.

1942 wurde Josef zur Wehrmacht einberufen, dort zum Panzergrenadier ausgebildet und an die Ostfront, nach Stalingrad, geschickt. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit lief er zur Roten Armee über, er kämpfte auf sowjetischer Seite und wurde später, als normaler Gefangener, in ein Kriegsgefangenenlager geschickt. Bis 1953 war er in verschiedenen Lagern inhaftiert, arbeitete dort viel auf kulturellem Gebiet und wurde Ende 1953 entlassen. Josef kam nach Leipzig wo seine Eltern lebten, die inzwischen aus ihrer Heimat ausgesiedelt waren, lernte dort seine spätere Frau kennen und machte sich als Dolmetscher und Übersetzer selbständig. Mit Kollegen zusammen gründete er einen erfolgreichen Übersetzerbetrieb. Dieser war aber zu erfolgreich, deshalb wurde Josef am 24. Dezember 1959 von der Stasi verhaftet, ohne Verfahren mehrere Monate eingesperrt und der Betrieb wurde verstaatlicht.

Er hätte nun allen Grund gehabt ein Gegner der Sowjets und der DDR zu sein, aber durch seine politische Überzeugung gab es für ihn keine Alternative.

Euer (Ur) Großvater arbeitete also trotz alle Erschwernisse weiter in seinem Beruf, engagierte sich gesellschaftlich im Berufsverband der Dolmetscher und Übersetzer und lehrte Russisch an der Volkshochschule. Trotz aller Bemühungen war das Geld manchmal knapp, Aufträge blieben aus, aber er meisterte dies mit seiner Frau gemeinsam.

Gegen 1987/88 nahm das Ministerium für Staatssicherheit, eben die Leute die ihn bis dahin verfolgt hatten, Kontakt zu ihm auf. Grund waren seine guten Kontakte zu sowjetischen Bürgern und seine gesellschaftliche Arbeit. Natürlich war der Hauptgrund die Perestroika in der Sowjetunion unter Gorbatschow. Er nutzte diese Kontakte um Kollegen zu helfen, ansonsten begrüßte er die Entwicklung in der Sowjetunion aus vollem Herzen.

Die Wende in der DDR begrüßte er ebenfalls, aber nicht die Vereinigung mit der Bundesrepublik.

1991 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, Parkinson wurde diagnostiziert und 1994 starb Josef im Alter von 71 Jahren.

Diese Rahmengeschichte, etwas ausgebaut und mit persönlichen Erlebnissen und Erzählungen von Zeitzeugen ergänzt, wollte ich also erzählen.
Sozusagen die Geschichte eines „stillen Helden“. Es wäre eine schöne Familiengeschichte gewesen, mit vielen Lehren für die nachfolgenden Generationen. So wie „nie unterkriegen lassen!“ und Ähnliches.
Aber dann öffnete ich die Büchse der Pandora.       

Zeitzeugen VII

Wie bereits versprochen hier die ersten Erkenntnisse, die sich aus der Auswertung der Unterlagen des RGWA über die Haft von  Josef A. Köhler ergeben.
Ich möchte an dieser Stelle besonders den Mitarbeitern des Suchdienstes des DRK in München und Herrn Peter Steger danken. Ohne diese wäre es für mich nicht möglich gewesen an diese Unterlagen zu gelangen bzw. diese auszuwerten.
Wie bereits beschrieben, wurde Josef A. Köhler am 07.06.1951 verhaftet. Er wurde vom MfS der DDR an die sowjetischen Sicherheitsorgane übergeben und im Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen inhaftiert. Über den Aufenthalt in diesem Gefängnis liegen keine Dokumente vor.
Am 10.07.1951 stellte der stellvertretende Leiter der Abteilung „OS“ (Osoboje sowestschanie – Sonderberatung) der Verwaltung des Bevollmächtigten des Ministeriums für Staatssicherheit der UdSSR in Deutschland, Oberstleutnant Pachomow eine „Verfügung über die Festlegung des Maßes des Freiheitsentzuges“ aus.
In dieser hieß es:

Josef Keller (Köhler) ist überführt, Verbrechen lt. Paragraph 58-14 des Strafrechts der Russischen Sozialistischen Sowjetrepublik begangen zu haben, weshalb ich unter Berücksichtigung des Umstands, daß Keller sich auf freiem Fuß befand und sich der Untersuchung und dem Gericht entziehen kann sowie auf Grundlage der Paragraphen 145 und 158 des Strafrechts der Russischen Sozialistischen Sowjetrepublik folgendes verfügt habe:
Als Maßnahme zur Verhinderung des Untertauchens und der Verhinderung von Untersuchung und Gerichtsverfahren hat Josef Keller unter Arrest zu stehen, wovon der Verhaftete mit Unterschrift dieser Verfügung entsprechend Paragraph 146 des Strafrechts der Russischen Sozialistischen Sowjetrepublik in Kenntnis zu setzen ist.

Josef A. Köhler wurde also in das Untersuchungsgefängnis Berlin-Karlshorst verbracht. Dort fanden im Zeitraum vom 22. Juli 1951 bis 31.01.1952 insgesamt 53 Verhöre, die durch Dokumente nachweisbar sind,  mit einer Gesamtdauer von 173 Stunden statt. Ein großer Teil der Verhöre wurde in den Nächten durchgeführt.
Ca. 1987 schrieb Josef Köhler den folgenden Text, eines von mehreren Fragmenten seiner Lebenserinnerungen die er nie beenden sollte.

 Es waren aber die gleichen Methoden, die auch die Häscher des KGB am 7. Juni 1953 anwandten, als sie mich in den Abendstunden in Berlin an der Ecke Tieckstraße – Chausseestrasse niederschlugen, halb bewußtlos in einen Opel Kapitän zerrten, fesselten und dann im Untersuchungsgefängnis in Hohenschönhausen in die Zelle Nr. 13 sperrten. Einundvierzig Tage Einzelhaft, bei sich tagtäglich wiederholenden Nachtverhören ohne Gewalteinwirkung, mit der ständig wiederkehrenden stereotypen Frage nach meinen Auftraggebern und meinen Verbrechen, die ich gegen die Sowjetvölker begangen hätte, folgten bange Monate in einem Untersuchungsgefängnis in Karlshorst, von wo ich über das Etappengefängnis in der Magdalenenstraße in Lichtenberg zusammen mit anderen Verurteilten nach Moskau und weiter an den Polarkreis in das Arbeitsbesserungslager Wessljana deportiert wurde.

Ein weiterer Auszug beschäftigt sich mit seinen Gefühlen in der Haft.

Es war der 7. Juni 1951, als ich abends gegen 24.00 Uhr in der Zelle Nr. 13 des Untersuchungsgefängnisses in Hohenschönhausen landete. Mehrere unfreundliche Herren hatten mich in der Chausseestraße überwältigt, in einen alten Opel gezerrt und in dem Gebäude, das Stefan Heim, Walter Janka u.a. näher beschreiben, stereotyp aufgefordert, zusagen, wer meine Auftraggeber seien und welche Verbrechen ich gegen die Sowjetunion begangen und geplant habe.Nun stand ich in der Zelle. Nr. 13 – eine Unglückszahl. Vier Schritte vor und zurück. Zwei Schritte zur Seite. Vierundzwanzig Stunden lang, Tag für Tag. Von 22.00 bis 06.00 Uhr Nachtruhe – bei gleißendem Licht. Empfunden habe ich alles, was auch die anderen beschreiben. Monatelang. Allein. Einzelhaft.

18. März 2011, Herzlichen Glückwunsch zum 88. Geburtstag !

Heute vor 88 Jahren:

Am 18. März, dem Passionssonntag des Jahres 1923 wurde Josef Köhler, als Sohn von Anton und Philomena Köhler, im Dorfe Fleyh (Flaje), im böhmischen Erzgebirge, geboren.
Es ist anzunehmen, dass seine Eltern ihn nach dem heiligen Joseph, dessen Tag am 19. März begangen wird, benannten. In den Familien Köhler und Seifert war dieser Name auch über Generationen für mindestens einen Sohn üblich. Anton (geb. 23.Januar 1885) war der Sohn von Josef Köhler und Emilia geb. Zeidler, deren Vater Josef Zeidler hieß. Philomena (geb. 8.Juli 1888) war die Tochter des Josef Seifert (geb. 6.3.1857) und Veronika geb. Preißler (geb. 5.2.1853) sie war die Tochter des Ferdinand Preißler. Die Familie Seifert führte den Beinamen „Vogelsteller“, nach der Geschichte, die Philomena erzählte, war in grauer Vorzeit ein Vogelsteller aus dem Italienischen übers Gebirge gekommen und hatte sich in Fleyh niedergelassen. Nachdem er in die Familie Seifert eingeheiratet hatte, führte diese den Beinamen.

Dies wird wahrscheinlich der Beginn der Lebensbeschreibung meines Vaters sein, wenn das Buch wie vorgesehen 2013 veröffentlicht wird.
Seit über zwei Jahren forsche ich jetzt über sein Leben, die zeitgeschichtlichen Aspekte seines Lebens und seiner Berufstätigkeit. Über Jesuitenseminar, HJ, Wehrmacht, Stalingrad, sowjetische Kriegsgefangenschaft, NKFD, Volkspolizei, Studium, Gulag, NKWD, MWD, KGB, MfS, SED, VdS um nur einige aktive und passive Bezüge in seinem Lebenslauf zu nennen, führte sein Lebensweg und reichen diese Forschungsarbeiten.

Es haben sich auch Helfer und Unterstützer gefunden, ohne die ich vielleicht schon die „Flinte ins Korn“ geworfen hätte. Diesen sei hier wieder einmal gedankt.
Leider ist mein Vater bereits 1994 verstorben, viele seiner Kameraden, Kollegen und Freunde sind ebenfalls nicht mehr am Leben. Aber die Forschung geht weiter.
Egal was ich auch noch entdecke, er war mein Vater den ich liebe und achte.
Also Herzlichen Glückwunsch!