1959 – Heiligabend

Der 24. Dezember 1959, ein Donnerstag, war angebrochen. Die Familie Köhler, bestehend aus den Großeltern Philomena und Anton Köhler, den Eltern Renate und Josef Köhler und den viereinhalb und zweieinhalb jährigen Söhnen, bereitete sich auf das Weihnachtsfest vor.
Wahrscheinlich  setzten Anton und Josef  am Morgen den Weihnachtsbaum in den Ständer ein, das Essen für die Feiertage wurde vorbereitet, die Geschenke wurden eingepackt und am Abend wollten alle gemeinsam die Christmette besuchen.
Gegen 16.00 Uhr, Josef war gerade dabei den Baum zu schmücken, klingelte es und zwei Männer, die sich als Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (MfS) auswiesen, standen vor der Tür und forderten Josef Köhler auf, sie zwecks einer Befragung zu ihrer Dienststelle zu begleiten.
Wir sollten ihn an diesem Weihnachtsfest nicht wieder zu Gesicht bekommen.

Verschollen

Ein kleiner Rückblick, nach Inkrafttreten der Benes-Dekrete wurden Anton und Philomena Köhler, wie tausende andere Deutsche auf dem Gebiet der Tschechoslowakei, enteignet und nach Deutschland deportiert. Sie kamen zuerst in Völkershausen unter, dort wurde auch der Kontakt mit ihrem Sohn, über das rote Kreuz, hergestellt.
Als Josef Köhler aus der Kriegsgefangenschaft kam, ging er nach Leipzig und holte einige Zeit später auch seine Eltern dort hin.
Am 4. Juni 1953 fuhr Josef nach Berlin und kam nicht wieder. Seine Eltern vermuteten richtig, dass er verhaftet worden war und bemühten sich um Informationen über seinen Verbleib. Als Alles Andere keine Ergebnisse brachte, schrieb Anton an den Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck. Der Brief ist nicht erhalten, aber die Antwort vom 26. März 1952 in der die Präsidialkanzlei mitteilt, dass der Vorgang an den Minister für Staatssicherheit, Willy Zaisser, weitergeleitet wurde, liegt mir vor.
Am 20.11.1952 schrieb Anton an den Minister für Staatssicherheit, er erhielt keine Antwort.
Auf ein weiteres Schreiben von Philomena an den Präsidenten, kam abermals die Antwort, dass das Ministerium für Staatssicherheit mit der Überprüfung beauftragt wurde.
Am 16.9.53 schrieb Philomena an Otto Nuschke, den stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR.

Unser Sohn, Joseph Köhler, geb. 18.3.1923, ist am 4.6.51 nach Berlin gereist und von dieser Reise nicht wieder zurückgekehrt.

Wir richten nunmehr an Sie, Herr Ministerpräsident, die Bitte, uns eine Nachricht zukommen zu lassen oder zu vermitteln, ob sich unser Sohn in Haft befindet, und wie es ihm ergeht. Es sind ja inzwischen die neuen Bestimmungen unserer Regierung erlassen, nach denen die Angehörigen eines jeden Inhaftierten einen diesbezgl. Bescheid erhalten sollen. In der nun schon so lange ertragenen Sorge und Ungewissheit, die uns immer stärker zermürbt, bitten wir dringend um eine solche Aufklärung.

Sie sollten auf diesen Brief nie eine Antwort und vom Ministerium für Staatssicherheit nie eine Information bekommen.
Josef blieb verschollen.

Versuch einer Biographie

Josef Anton Köhler

1923-1994

Mein Name ist Josef Anton Köhler, ich wurde am 18. März 1923 in Fleyh, in der heutigen CSR, als Sohn des Tischlermeisters Anton Köhler und der Schneiderin Philomena Köhler geboren.

So könnte eine Autobiographie meines Vaters beginnen, wenn er sie geschrieben hätte. Ich bin natürlich nicht Josef Anton, sondern sein jüngster Sohn. Nun habe ich mich entschlossen, die Biographie meines Vaters zu schreiben und hier die einzelnen Schritte zu publizieren.

Warum eigentlich? Ist es nur, weil ich meinen Vater geliebt habe und hier würdigen will? Ist es um ihm ein Denkmal zu setzen? Habe ich nur Langeweile? Die Antwort ist etwas komplizierter.

Im Laufe meines Lebens, habe ich viele Geschichten von meinem Vater und über ihn gehört und nach dem Tode meiner Mutter sind so ziemlich alle Unterlagen über ihn in meinen Besitz gekommen. Da lagen sie nun, wurden mal angeschaut und mal vergessen. Die Arbeit, die Kinder und viele andere Dinge waren ja wichtiger und ich merkte nicht einmal, dass rund um mich immer mehr Zeitzeugen starben.

Jetzt, da ich viel Zeit habe, nahm ich die Unterlagen in die Hand und las in manchen Dokumenten über Dinge, die nie angesprochen wurden, über ganze Zeitabschnitte und Ereignisse, die ich aus den Erzählungen anders in Erinnerung hatte und ich fing erstmals an, die Dokumente zu ordnen. Die Differenzen, zwischen meinen Kenntnissen und den Dokumenten, wuchsen und ich begann in Archiven nach zusätzlichen Dokumenten zu suchen. Einige Ergebnisse habe ich bereits, andere stehen noch aus.

Was ich natürlich am Anfang nicht ahnte war, dass die Arbeit hochkompliziert ist, dass mit jedem neuen Dokument die möglichen Verbindungen zum Geschehen der damaligen Zeit wachsen, und es stellt sich eine Frage: „ WER und WAS war mein Vater wirklich?“.

Es kann also sein, dass ich feststelle, dass mein Vater KGB-Opfer oder KGB-Agent war (gleiches gilt für das MfS der DDR), dass er bekennender Katholik oder Atheist war, dass er seinen Beruf als Dolmetscher und Übersetzer vielleicht nur als Tarnung ausübte oder auch nicht.

Ich will es aber wissen. In diesem Blog werde ich meine Arbeit schildern, die Versionen gegenüberstellen und versuchen anhand der Dokumente eine komplette Biographie zu erarbeiten.