Renate Pratsch wurde am 30.03.1934 in Schkölen (Thüringen), als Tochter des Hans Pratsch (geb. 27.03.1911) und der Elisabeth Pratsch, geb. Böhme (11.04.1909) geboren. Kurz nach der Geburt ihres Bruders im Jahre 1936 zog die Familie nach Mörtitz bei Eilenburg und 1938 nach Löbnitz bei Delitzsch. Die Gründe für die Umzüge waren nicht mehr genau zu ermitteln aber es ist davon auszugehen, dass beide Eltern, Hans als Landwirtschaftsgehilfe und Elisabeth als Ungelernte (in den Unterlagen ist für diese Zeit Hausfrau angegeben), Arbeit suchten. Leider ist es nicht mehr feststellbar, wann Hans zum Wehrdienst einberufen wurde, es muss aber wahrscheinlich bereits um 1938 gewesen sein. Renate besuchte ab Sommer 1940 die Grundschule in Schkölen, das letzte Zeugnis wurde dort 1944 ausgestellt. Ebenfalls 1944 wurde ihre Schwester geboren. 1945, nach Kriegsende zog die Familie nach Klitschmar bei Delitzsch. Wahrscheinlich durch die Wirren der Zeit zum Ende des 2. Weltkrieges und der Nachkriegszeit bedingt ist das nächste vorhandene Zeugnis erst von 1946, ausgestellt von der Städtischen Oberschule für Jungen in Delitzsch. Renate besuchte danach die Schule in Klitschmar, die sie mit dem Abschluss der 8. Klasse verließ und schloss ihre Schulbildung mit dem Abschluß der 10. Klasse an der Ehrenberg-Oberschule in Delitzsch 1950 ab. Zwischen 1945 und 1954 ließen sich ihre Eltern scheiden, das genaue Jahr ist mir nicht bekannt aber ab 1955 gibt Elisabeth als Familienstand „geschieden“ an. Renate besuchte 1951 bis 1952 einen Lehrgang als Erziehungshelferin (Vorschulalter) in Halle, den sie im Juli 1952 abschloss.
Ihre Mutter Elisabeth, bis dahin als ungelernt/Hausfrau in den Unterlagen geführt, hatte vor Ihrer Ehe die Mittelschule abgeschlossen und belegte im Herbst 1952 einen Lehrgang für Hilfsschwestern. Nach dessen Abschluss besuchte sie von 1953 bis 1955 die Fachschule für Krankenschwestern in Halle und beendete diese im Herbst 1955 erfolgreich. Seit 1952 war sie auch in der Krankenpflege, in verschiedenen Einrichtungen, tätig.
Renate besuchte von 1953 bis 1954 die Pädagogische Schule für Kindergärtnerinnen in Leipzig und beendete diese 03.07.1954 mit dem Fachschulabschluss.
Um in Leipzig studieren zu können musste sie natürlich auch dort wohnen. Ob nun über ein Zeitungsinserat, über die Zimmervermittlung oder über einen anderen Weg, sie fand die Eheleute Köhler in der Balzacstrasse 17, die das Zimmer ihres verschollenen Sohnes vermieteten. Dieser tauchte Anfang 1954 wieder auf.
1954 – 1955
Familie
Im Spätherbst 1954 stellte sich heraus, dass Renate schwanger war. Es musste also etwas geschehen, eine sofortige Heirat kam ja aus konfessionellen Gründen nicht in Frage. Renate besuchte also den katholischen Religionsunterricht und konvertierte zum Katholizismus.
Im Januar 1955 konnte also endlich geheiratet werden und im Juni 1955 erblickte mein Bruder das Licht der Welt.
Studium und Arbeit
Die Zulassung für das Studium ließ auf sich warten, der Ablehnungsbescheid beendete alle Illusionen über eine akademische Laufbahn.
Unverhofft bekam Josef Köhler im September 1954 eine Anstellung als Dolmetscher und Übersetzer in der Juristenfakultät der Karl-Marx-Universität Leipzig, für den sowjetischen Gastprofessor V.A. Tarchow. Sein vorheriger Arbeitgeber, die Nationale Front, bescheinigte ihm in der Beurteilung vom 30.08.1954, sehr gute Arbeit.
Nach dem Ausscheiden von Prof. Tarchow im Dezember 1954 arbeitete Josef Köhler als Übersetzer am Institut für Zivilrecht der KMU Leipzig bis April 1955.
Auch hier wurde ihm in der offiziellen Beurteilung vom 26.07.1955, von Prof. Such ausgezeichnete Arbeit bestätigt.
Kollege Köhler verfügt über ausgezeichnete Kenntnisse in der russischen Sprache. Er hat eine sehr gute Auffassungsgabe und hat es verstanden, sich in die für ihn neue Materie des Zivilrechts schnell einzuarbeiten. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass er keine juristische Ausbildung hat, ist es ihm ausgezeichnet gelungen, sowohl die wissenschaftlichen Texte wie auch die Diskussionen in den Seminaren fachgerecht zu übersetzen. Besonders hervorzuheben ist, dass er zu den wenigen Dolmetschern gehört, die auch deutsche wissenschaftliche Texte in die russische Sprache übersetzen können. Diese Dolmetscher-Tätigkeit ist erheblich schwieriger als Übersetzungen aus der russischen Sprache.
Weiterhin wird ihm Arbeitsbereitschaft, ein hohes Arbeitstempo und Uneigennützigkeit bescheinigt, mit der Einschränkung:
… während er es andererseits nicht unterlassen kann, seine besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten gelegentlich selbst zu betonen, und auch die ausdrückliche Anerkennung seiner Arbeit herausfordert.
Abschließend heißt es:
Kollege Köhler ist als Betreuer für einen sowjetischen Gastprofessor gut geeignet, da er stets um den Gast besorgt, umsichtig und wendig ist. Da andererseits seine politische Erfahrung noch nicht voll entwickelt ist, ist eine Anleitung und Kontrolle in dieser Hinsicht erforderlich. Falls eine solche Anleitung und Kontrolle gesichert ist, kann ihm eine Betreuung übertragen werden.
So positiv diese Beurteilung auch ist, so steht doch ein KMU-internes Schreiben vom 11.2.1955 einer erneuten Beschäftigung im Wege.
Dort heißt es:
In einer Rücksprache mit Herrn Prof. Dr. Such teilte mir dieser seine Einschätzung des Koll. Köhler etwa wie folgt mit:
K. ist ein ausgezeichneter Übersetzer, sowohl qualitätsmässig wie auch in der Schnelligkeit, mit der er die Übersetzungen anfertigt. Er ist arbeitsfreudig und einsatzbereit.
Politisch hat er aber noch nicht die Festigkeit, die zu so einer verantwortungsvollen Funktion (Betreuung eines sowj. Professors) gehört. Er neigt zu einer individualistischen Anschauung. Auch fällt es ihm schwer, Kontakt zu anderen Menschen zu finden, was gerade in dem vorliegenden Falle unerlässlich ist, um eine gute Zusammenarbeit zwischen den deutschen Wissenschaftlern und Ärzten und dem sowjetischen Wissenschaftler herzustellen.
Nach Meinung von Herrn Prof. Such kann man den Koll. Köhler immer nur an einer 2. Stelle einsetzen.
Wenn eine entsprechende Kraft dringend gebraucht wird, so erklärte sich Prof. Such bereit, der Kaderabteilung dabei behilflich zu sein, da ihm eine für diese Stellung geeignete Kollegin Dolmetscherin bekannt sei.
11.2.55 Koll. Walde wurde von mir bereits in diesem Sinne verständigt.
Josef Köhler bekam also keine weitere Anstellung an der KMU, er machte sich als freiberuflicher Übersetzer und Dolmetscher selbständig.
1954 / I
Familiäre Veränderungen
Als Josef Köhler wieder nach Hause kam, hatte sich die Lage seiner Eltern verändert. Obwohl schon 68 Jahre alt, hatte sich sein Vater, Anton Köhler, als Tischlergeselle in der Bau- und Möbeltischlerei Carl Walther, Wiesenstrasse 24, Leipzig C1, am 02. März 1953 einstellen lassen. Die Mutter, Philomena Köhler, führte den Haushalt und schneiderte nebenbei für Bekannte. Um das karge Einkommen aufzubessern wurde auch eine Fachschulstudentin als Untermieter aufgenommen.
Zwischen dieser Untermieterin, Renate Pratsch, und ihm kam es in relativ kurzer Zeit zu einer Annäherung, die allerdings seiner Mutter nicht gerade recht kam, da ihr Sohn, wenn er schon nicht Priester würde, zumindest ein ehrbares katholisches Mädchen heiraten sollte. Renate war aber protestantisch.
Arbeitssuche
Eine Arbeit zu finden fiel auch nicht leicht. Josef wollte ja weiter studieren und bewarb sich am 26.04.1954 also um die erneute Immatrikulation an der Universität Leipzig (zu diesem Zeitpunkt bereits Karl-Marx-Universität). Zusätzlich bat er um die Möglichkeit, während des Studiums, als Lektor für die russische Sprache an einem der Institute arbeiten zu können.
Vom 20.01.1954 bis zum 28.02.1954 arbeitete er als Aushilfslehrer für Russisch an der Karl-Marx-Oberschule in Leipzig. Da er nicht sofort eine andere Anstellung bekam, arbeitete er ab dem 05.Mai 1954 ehrenamtlich im Pavillon der Nationalen Front, wo er auch vom 14.06. bis 31.08.1954 als Aushilfe eingestellt wurde.
Versuch der Wiederimmatrikulation
Am 19. Juni 1954 schrieb an der Karl-Marx-Universität ein Referent namens Jänsch (Zeichen Jä./Ke.), ein internes Schreiben an das Rektorat der Karl-Marx-Universität Abt. Sprachunterricht, zu Händen des Koll. Dalitz, mit folgendem Inhalt:
Betr.: Josef Köhler,
Obengenannter will sich als wissenschaftlicher Dozent bewerben. Wir bitten von einer Einstellung unbedingt abzusehen.
Präziser wird am gleichen Tage Dozent Jansch, Prorektor für Studentenangelegenheiten [?] (Zeichen Jä./Ke.) im Schreiben an das Staatssekretariat für Hochschulwesen, Abt. Studenten- angelegenheiten, zu Hdn. Koll. Mamat:
Betr.: Herr Josef Köhler
Obengenannter wird sich beim Staatssekretariat für Hochschulwesen um Wiederimmatrikulation für die Fachrichtung Slavistik bewerben. Auf Grund einer Mitteilung des Oberassistenten des Slavischen Institutes, Herrn Schulze erhalte ich Kenntnis, dass Köhler noch heute in enger Verbindung zu Prof. Dr. Ohlisch [sic!] (Universität Köln) steht. Da K. gut über das Slavische Institut informiert ist und bei einer Wiederimmatrikulation der Verdacht besteht, dass der Forschungsauftrag von Herrn Prof. Dr. Fischer, Prof. Ohlisch [sic!] in Westdeutschland bekannt wird, sehe ich mich veranlasst, darauf aufmerksam zumachen und von einer Wiederimmatrikulation abzusehen.
Der genannte Professor in Köln, ist Prof. Dr. R. Olesch, bei dem Josef am 3.7.1950 seine Arbeit zur Begabtenprüfung einreichte, der damalige Leiter des Institutes für Slavistik. Kontakte für den Zeitraum 1954 konnten in keiner Weise bestätigt werden.