1966 – 1968

Für diese und die folgenden Jahre liegen mir noch zu wenige Unterlagen und Dokumente vor, so dass ich zu großen Teilen auf meine Erinnerungen zurückgreifen muss.
Da, trotz aller Arbeit, das Geld nicht reichte, arbeitete meine Mutter zu den Leipziger Messen als Standhilfe bei einer dänischen Firma. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt produzierte diese Kühlgeräte. Ich erwähne dies, weil sich daraus erstmals Kontakte zu Bürgern aus dem „nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet“ (NSW) ergaben, an denen auch mein Bruder und ich Anteil hatten. Die Familien Andersen und Nielsen besuchten uns nämlich während unserer Urlaube in Ungarn.

Bis auf kleinere Geschenke und das Geld, welches meine Mutter offiziell verdiente, hatte diese Bekanntschaft aber keinen weiteren Einfluss auf unser Familienleben.
1968 fand unser vorerst letzter Ungarnurlaub statt. Am Abend des 20. August überquerten wir mit dem Zug die Grenze zwischen der CSSR und der DDR, um am Morgen des 21. August zu erfahren, dass die Truppen des Warschauer Vertrages in die CSSR einmarschiert waren. Aus den Berichten einiger Bekannter, die sich zu dieser Zeit noch in Ungarn oder in der CSSR befanden, zogen meine Eltern den Schluss, dass es besser wäre, in den Folgejahren im Lande zu bleiben. Der Bruder unserer Mutter, Harald Pratsch, besaß ein Bauernhaus an der Havel in der Nähe von Premnitz. Er und seine Familie luden uns ein, die Ferien 1969 dort zu verbringen.
In den Jahren 1966 bis 1968 setzte sich der Trend in der Arbeit meines Vaters fort, es wurde mehr übersetzt, die Arbeit als Dolmetscher wurde seltener. Das hatte zur Folge, dass mein Vater den größten Teil des Tages zu Hause in seinem Arbeitszimmer verbrachte. An den Abenden unterrichtete er weiter an der Volkshochschule Leipzig, nahm an Veranstaltungen der Vereinigung der Sprachmittler (VdS) teil, organisierte dort die Arbeit der Russischgruppe oder er traf sich mit Kollegen.
Zur damaligen Zeit hatte die VdS noch keine richtigen Geschäftsräume. Die Hauptarbeit der Russischgruppe fand deshalb im Hinterzimmer der Gaststätte „Chausseehaus“ statt.

1961 und Folgejahre

Nach der Schließung der Grenzen traf es unsere Familie genau so wie viele andere: Alte Bekannte, Kollegen und Freunde wanderten auf die verschiedensten Weisen gen Westen. So zum Beispiel der langjährige Freund unserer Eltern und Hausarzt der Familie, für meinen Bruder und mich Onkel Horst, Dr. med. Horst Dreßler, der sich später aus Cuxhaven meldete. Auch andere verschwanden spurlos und meldeten sich, wenn überhaupt, später aus der BRD. Von Einigen liegen mir Postkarten und Briefe vor.

In der Folge werde ich einige kleine Artikel zu unserem Familienleben veröffentlichen, um diese Zeit ein wenig zu illustrieren. Den Beginn mache ich mit einem wichtigen Bestandteil, der Religion und der Kirche.
Wir waren katholisch, allen voran unsere Großmutter. Unser Großvater und unser Vater waren auf „männliche Art“ gläubig, das heißt sie gingen sonntags zum Gottesdienst, sprachen das Tischgebet und kümmerten sich ansonsten um ihre Arbeit. Unsere Mutter, als Konvertitin, hielt sich aus den Kirchenfragen heraus. Der wöchentliche Kirchgang genügte. Mein Bruder und ich gingen zum Religionsunterricht, nach der Erstkommunion wöchentlich zur Beichte (ich weiß nicht mehr was wir da jede Woche zu beichten hatten) und am Sonntag  zum Kindergottesdienst. Abends vor dem zu Bett gehen wurde das Abendgebet mit unserer Großmutter gemeinsam gesprochen.
Auf Grund unserer  Kirchenzugehörigkeit wurden wir mit der Einschulung auch keine Jungpioniere. Wir fanden das eigentlich schade – es sah doch so toll aus wenn die anderen mit weißem Hemd und Halstuch zum Appell antraten. Dafür durften wir aber nach dem Religionsunterricht bei unserem Kaplan die Bücher von Karl May lesen, das entschädigte für vieles.
Unsere Kirche war die Universitätskirche. Ich habe diese düstere und trotzdem wunderschöne Kirche geliebt. In meiner Erinnerung stand dort im linken hinteren Bereich eine Heiligenfigur mit einem Schwert, das war meine Lieblingsfigur.

Die Christmette,  die Auferstehungsmesse, die Prozession zu Fronleichnam und die Gottesdienste an anderen Feiertagen waren auch im Familienleben Höhepunkte. Unserere Großmutter verehrte besonders unseren ehemaligen Probst und späteren Bischof Otto Spülbeck. Sie sammelte alle Bilder, auf denen er zu sehen war, und auch das Buch „Der Christ und das Weltbild der modernen Naturwissenschaften“ fand ich in ihrem Nachlass. Ob sie es je gelesen hat?

18. März 2010

Heute wäre der 87. Geburtstag meines Vaters. Es ist also ein günstiger Zeitpunkt ein Resümee zu ziehen und einen Blick voraus zu werfen.
Meine Zielstellung ist es, am 90. Geburtstag diese Biographie in Buchform zu veröffentlichen. Was habe ich also bisher erreicht?
Nach über einem halben Jahr habe ich das Grundgerüst für die Jahre 1923 bis 1965 errichtet, das heißt die Aufzeichnungen meines Vaters, die Erzählungen in der Familie und die offiziellen Dokumente wurden verglichen und es gelang mir die biographischen Daten fast lückenlos zu rekonstruieren. Es war viel Archivarbeit und es gelang mir mit viel Glück auch einige Zeitzeugen zu finden und zu befragen.
Für die Lücken in der Biographie werden sich wohl in den verbleibenden Archiven auch noch Daten finden, aber so viel kann ich schon sagen: Es gibt große Diskrepanzen zwischen der Geschichte meines Vaters und den Geschichten über meinen Vater.
Das Blog zu führen war eine gute Idee, danke Chris, und ich werde auch weitere Artikel zu den verbleibenden Jahren schreiben. An dieser Stelle möchte ich noch einmal  allen in den Danksagungen genannten und auch allen nicht genannten Helfern und Unterstützern danken, natürlich auch Dank an den doch schon erheblichen Leserstamm.
Es geht also in einigen Tagen mit den Jahren 1966 bis 1970 weiter.
Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag Josef !