Einen Mosaikstein,

dessen Bedeutung für die Biographie noch nicht ganz klar ist, stellt ein Auftrag des MfS an einen IM dar. Dieser IM wird am 19.06.1968 beauftragt:

[…]sich am heutigen Abend bei einer turnusmäßigen Zusammenkunft mit dem Dolmetscher Köhler mit diesem über die Verhältnisse in der CSSR zu unterhalten. Hierbei ist im Besonderen festzustellen, ob der Köhler noch die Verbindung zu dem derzeitigen Vors. der Nationalversammlung Schmirkowski? [gemeint ist hier Josef Smrkovsky] unterhält und ob er diesen in der letzten Zeit gesprochen hat, d.h. in der Zeit, seit der S. Vors. der Nationalversammlung ist. Zielstellung des Auftrages ist, einmal die Einstellung des Köhlers zu den Ereignissen in der CSSR zu testen und zweitens die Feststellung der Verbindung zu S.

Leider findet sich über den tschechischen Politiker Josef Smrkovsky, der eine bedeutende Rolle im „Prager Frühling“ spielte, nicht viel Material. Aber mein Blog hat ja schließlich einige treue Leser in der Tschechischen Republik. Es wäre sehr hilfreich, wenn ich mehr Informationen über diesen Mann erhalten könnte. Das hier eingefügte Foto zeigt einen Mann an einem tschechischen Dienstwagen. Da es in einem Fotoalbum, nicht in den sonst üblichen Kartons, gefunden wurde, scheint es so, als ob es für Josef Köhler eine besondere Bedeutung hatte. Vielleicht zeigt es ja seinen Freund Josef Smrkovsky.

Neues Forschungsprojekt

Wie ich im Artikel Zwischenbemerkungen schrieb, habe ich bereits mit einem Forschungsprojekt, „Zusammenarbeit mit KGB und MfS am Einzelfallbeispiel Josef A. Köhler„, begonnen. Nun arbeite ich immer noch an den Ereignissen in den 50er Jahren und ich musste feststellen, dass der zeitgeschichtliche Aspekt meiner Arbeit immer mehr das ursprüngliche Ziel der Biographie verdrängt.
Somit habe ich ein neues Forschungsprojekt begonnen, welches aber ursächlich mit der bisherigen Arbeit zusammenhängt und für das Verständnis des Geschehens wichtig ist.
Dieses Projekt hat den Arbeitstitel „Dolmetscher und Übersetzer, sowie ihre Berufsverbände und Betriebe, als Quelle und Ziel für nachrichtendienstliche Tätigkeit„. Als Exempel wird hier die Gründung des „Übersetzerkollektivs Leipzig“, dessen Übergang zum „VEB Büro für technisch-wissenschaftliche Übersetzungen“ (TEWI), dessen spätere Übernahme durch den „VEB Globus, Zeitungsausschnitt- und Übersetzungsdienst Berlin“ und die daraus später erfolgte Gründung des, SED eigenen, „VEB INTERTEXT“ behandelt. Ebenso wird die Vereinigung der Sprachmittler der DDR (VdS), zuerst als Sektion des Verbandes der Journalisten der DDR (VdJ), später als selbständiger Verband, behandelt.
Ein kleiner Ausschnitt aus der Begründung des Projektes:

In der Geschichte hatte dieser Berufsstand schon immer für Spionage und Abwehr große Bedeutung. Jedes diplomatische Schriftstück zwischen verschiedensprachigen Staaten wird von ihnen übersetzt, jede Unterhaltung von Staatsmännern, Diplomaten, Fachleuten aus Wissenschaft und Wirtschaft von ihnen gedolmetscht. Ein Dolmetscher oder Übersetzer ist also ein potentieller Geheimnisträger. Außerdem entsteht gerade unter Staatsmännern und ihren persönlichen Dolmetschern oft ein enges Vertrauensverhältnis, wie zwischen Walter Ulbricht und Werner Eberlein, der im Anschluß an diese Tätigkeit einen steilen Aufstieg in der Parteihierarchie hatte. Auch Fremdsprachenkenntnisse von Politikern und Führungskräften führen nicht zum Wegfall dieses Berufsstandes. Feinheiten und Doppeldeutigkeiten der Fremdsprache werden vom Dolmetscher besser beherrscht und er wirkt zudem als „Filter“ im Gespräch. Eventuelle Missverständnisse werden so dem Dolmetscher angelastet, dadurch werden mitunter sogar diplomatische Krisen verhindert. Deutlich ist dies gerade in den 50er und 60er Jahren in der DDR zu sehen, wo große Teile der Regierung aus Emigranten, wie Pieck, Ulbricht usw., bestanden. Diese sprachen durch den langjährigen Aufenthalt in der Sowjetunion teilweise ein sehr gutes Russisch, bedienten sich jedoch aus den oben genannten Gründen bei offiziellen Gesprächen stets eines Dolmetschers.
So ist es also nicht verwunderlich, dass Dolmetscher und Übersetzer von den Geheimdiensten angeworben wurden, auf der anderen Seite aber stets verstärkt überwacht wurden. Hier spielte Leipzig als Universitäts- und Messestadt, in dem hier behandelten Zeitraum, eine wichtige Rolle. Die nachfolgende Beschreibung der Gründung eines Übersetzungsbetriebes ist dafür als exemplarisch zu werten.

Natürlich wird auch in diesem Projekt die Person von Josef Köhler an einer zentralen Stelle der Forschungsarbeit stehen, aber auch Wolfgang Höher und andere bereits behandelte Personen werden eine große Rolle spielen.

Eine Postkarte und eine Geschichte – Ihsan Sandouk

Unter den Hinterlassenschaften meines Vaters befinden sich auch Briefe und Postkarten von Kollegen und Freunden. Diese sind zum Teil aus den 50er Jahren, also aus der Zeit des Übersetzerkollektives. Ich habe also versucht, die Absender zu finden um mehr über diese Zeit zu erfahren. Konzentriert habe ich mich in erster Linie auf Karten aus dem Ausland.
Hier die Schilderung der zweiten, noch nicht abgeschlossenen, Suche.

[Damaskus] den 15.8.59

Ich sende Ihnen schoene Gruesse und hoffe, dass es Ihnen gut geht. Ich bin gut in Damaskus angekommen. Es war eine gute Gelegenheit, dass wir unsere Heimat besuchen konnten. Und mit Augen sehen wir die Entwicklung unserer Industrie und Landwirtschaft.
Ihr
Ihsan Sandouk

Der hier genannte Ihsan Sandouk war wahrscheinlich einer der zahlreichen ausländischen Studenten, der für das Übersetzerkollektiv arbeitete. In den Spitzenzeiten hatte dieses Kollektiv bis zu 250 frei- und nebenberufliche Mitarbeiter, die in fast alle Weltsprachen übersetzten.
Es ist anzunehmen, dass Ihsan Sandouk nach Beendigung seines Studiums wieder nach Syrien zurück gegangen ist. Mit den wenigen Angaben, die aus dieser Postkarte ersichtlich sind, habe ich ihn bisher nicht auffinden können. Ein Ihsan Sandouk arbeitete in den 90er Jahren im Ministerium für Industrie in Syrien, eine Anfrage dort wurde aber nicht beantwortet.